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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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wackelte.
    Ich hörte, vom Moos gedämpft, die Stimmen des Paares und war unterdes mit der alten Frau ins Gespräch gekommen, die mir erzählte, dass sie ihren Enkelkindern bei Magenweh immer Magenbitter auf Zucker träufelte. Dass aber die Enkelkinder vor fünfzehn Jahren gestorben waren.
    Das Paar am Tisch war von mir unbemerkt zu Bett gegangen. Ich erhob mich, stellte meinen Teller in ihre Küche und machte mich auf den Heimweg durch eine angenehm diesige Nacht. Und als ob mein Bedarf an Gesellschaft nicht auf Wochen gedeckt gewesen wäre, saß auf den Stufen zu meinem Haus die seltsame Bekannte.

Heute.
Nach dem Frühstück.
    Asiaten fließen an mir vorbei wie leiser Regen. Die Ausländer sind gegen neun auf die Fähre verschwunden. Wie Kinder, in Uniformen gezwängt von hektischen Eltern, viel zu früh. Die Gesichter blass, die Uniformen kratzen, sie müssen aus einem Kinderschlafgesicht ein Erwachsenengesicht machen. Nicht zu spät kommen, nur nicht zu spät kommen. Solche Angst vor dem Zuspätkommen, dem Nichtgenügen, dem Ausgetauschtwerden. Von wem nur. Manche haben vielleicht noch einen Chef – lebendig, jung, dynamisch. Ein Idiot in jedem Fall. Oder einfach ein Vorgesetzter. Jung, dynamisch. Ein Idiot. Ein Alphatier. Aber mit Führungsqualität. Solche Angst. Sie lassen sich ausbeuten, und sie würden es doch nie so nennen. Ich arbeite gerne, würden sie sagen, was auch sonst. Es können ja nicht alle selbständig sein, Künstler oder Penner, einer muss ja arbeiten. Früher nannte man das Klassenkampf. Die da oben, die da unten. Heute nennt man es Angestelltenverhältnis, und keiner wundert sich. Den Tag verkaufen, eine Stunde Mittagspause, aber bitte nicht überziehen, nicht auffallen, sich ducken. Nach Dienstschluss in eine Bar. Den Stress wegsaufen. Trinken sollt ihr. Trinken, Freunde, um zu vergessen, was da passiert, mit euch und eurem Leben, aber wenigstens passiert etwas.
    Nach meinem Kaffee, den drei Stunden Starren, gehe ich jeden Tag die gleiche Strecke über die Insel. Der Weg durch den Dschungel ist aus Betonquadern, sie erinnern mich analte Autobahnen, ich kenne jede Platte, jeden Riss, jede Spalte, in der Gras wächst, ich kenne jedes Haus im Dorf, es sind an die hundert. Die Hälfte ist von der Feuchtigkeit grau geworden, und sie sehen aus wie zweigeschossige Bauhaus-Garagen, erlegt von dem Grün, das seine Wurzeln in den Beton gräbt. Die Neubauten sind ausnehmend weiß, Kacheln am Boden und Schiebefenster in wetterstabilem Alurahmen, immer messingfarben, auffallend viele Ledersofas, große Plasmafernseher, Stereoanlagen. Die absolute Vorliebe für Sechziger-Jahre-Rockmusik der Inselbewohner bemerke selbst ich, die ich keine Ahnung von Musik habe, bei der dauernden Wiederholung der wenigen Stücke von Janis Joplin. Im Untergeschoss der Häuser Restaurants, Cafés, Handwerksgeschäfte, kleine Supermärkte, ein Heim für Obdachlose oder deprimierte Tiere, eine Massagepraxis, an den riesigen Bäumen, von denen Wurzeln hängen, die in die Häuser kriechen, Zettel von westlichen Menschen, die umziehen, ihren Krempel verschenken, ihre Häuser vermieten, neue Häuser oder Hunde suchen. Hinter dem Dorf folgt eine Ebene mit Moskitobrutplatz, Bananenstauden, Dschungel, doch auch hier befremdlich breite Betonwege, die scheinbar im Nichts enden. Kein System auszumachen.
    Es ist nie vollkommen ruhig. Ständig erzeugen Kinder, Motorboote, Flugzeuge, das Meer, Janis Joplin und diverse Insekten Geräusche, und doch begegnen mir selten Menschen auf diesem Weg, die Augen auf den Boden, die Betonplatten zählend.
    Nach etwa zwanzig Minuten unbewohnten Grüns wieder ein paar alte Häuser. Eine Suppenküche, ein Laden mit Strandspielzeug am Rand des Plattenwegs, der dann zu Sandwird, Bucht und Meer und ein kleines Hotel mit Café, alles reizend, wenn man es denn reizend haben wollte.
    Man kann Dinge erst sehen, wenn sie einen nicht mehr überraschen. Die unangenehmste Aufforderung, die ich in meinem alten Leben öfter gehört hatte, war: »Überraschen Sie mich.« Immer ausgesprochen von Menschen, die nichts mehr überraschen konnte, die nichts mehr freuen konnte, ein Portfolio-Manager-Spruch.
    Mein Blick wird wieder klar, sucht die Betonplatten auf Veränderungen ab. Ich nehme jedes Detail wahr und kann keine Rückschlüsse daraus ziehen. Meine Augen sind vermutlich Fliegenaugen geworden, sie zerlegen alle Bilder in kleine Teile, aber das Gehirn kann sie nicht in Information umwandeln. Wie jeden Tag setze ich

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