Der Mann zweier Welten
Hände in ähnliche Tücher. Seinen Gesten nach sollte Ketan das gleiche tun.
Das Stöhnen und die Schreie wurden immer heftiger. Die beiden eilten ins Innere der Höhle.
Die Frau wälzte sich auf dem Lager. Der Fremde drückte ihr kurz das Tuch mit der scharfen Flüssigkeit auf die Nase, dann bedeutete er Ketan, daß er ihre Arme festhalten sollte.
Ketan merkte, daß etwas nicht in Ordnung war. Die fieberhafte Angst des Fremden übertrug sich auf ihn. Eine Ewigkeit verging. Die Frau bäumte sich immer schwächer auf. Dann schüttelte sie sich plötzlich.
Der Mann hielt ein winziges, rötliches Lebewesen in den Armen. Er preßte seinen Mund gegen den Mund des winzigen Dings und atmete tief und langsam.
Um Ketan drehte sich alles. Seine Erziehung bäumte sich gegen diese Szenen auf. Das war also der Beginn des Lebens. Er hatte ihn erlebt. Vielleicht gab es irgendwo noch die Frau, aus der er stammte. Wie schrecklich, ihr zu begegnen.
Sein Blick fiel auf den Mann, der das winzige Wesen hielt. In seinen Augen war Angst, Sorge und etwas, das Ketan nicht deuten konnte.
Die Frau, die er immer noch gegen das Lager preßte, schüttelte sich plötzlich. Dann lag sie still. Er sah in das ruhige Gesicht und fühlte nach ihrem Herzschlag.
Langsam, entsetzt, wandte er sich ab. Er hatte zum zweitenmal in kurzer Zeit einen Menschen sterben gesehen. Und dann dachte er an Elta. Bedeutete die Schaffung des Lebens immer den Tod eines anderen?
Sein Blick ging zu dem Bärtigen hinüber, der das kleine Wesen abwesend in den Händen hielt. Er war sehr still. Man hörte nur das scharfe Zischen der Öllampe.
Und dann schrie der Mann auf. Er ließ den leblosen kleinen Körper fallen und sank neben der Frau zu Boden. Sein Kopf ruhte auf ihrer Brust.
Ketan ging langsam ins Freie. Was war mit dem neugeschaffenen Leben? Es hatte sich nie gerührt. Es hatte nicht geatmet. Das war nicht richtig. Die Schaffung neuen Lebens durfte nicht mit solchen Schmerzen verbunden sein, wie die Frau sie erlitten hatte.
Er hörte Schritte hinter sich. Der Fremde hatte brennende dunkle Augen. Er winkte ihn ins Innere. Mit Gesten gab er Ketan zu verstehen, daß er die Toten in die vorhandenen Tücher wickeln sollte. Irgendwie war Ketan froh, daß er helfen konnte.
Als er fertig war, ging er hinaus. Der Mann grub eine Höhle in den Sand. Ketan half ihm verwundert. Als sie fertig waren, wurde die Szene nur noch von dem Feuer erhellt. Mit schweren Schritten ging der Fremde in die Höhle und holte die Frau und das Kind heraus.
Er senkte sie sanft in die Grube. Dann scharrten sie wieder Sand über die Toten.
Ketan sah, daß eine zweite Sonne aufging. Sie stieg über die niedrigen Hügel jenseits des Flusses. Aber sie war anders als die Sonne Kronwelds. Blaß, schwach. Sie verbreitete ein kühles, silbriges Licht. Zum erstenmal spürte Ketan Angst.
Der Fremde hatte die Faust gegen die Stirn gepreßt. Jetzt drehte er sich brüsk um und lief in die Schatten des Waldes.
Ketan wußte nicht, was er tun sollte. Das Drama, das er miterlebt hatte, vertrieb alle klaren Gedanken. Dazu kam die unheimliche Landschaft und sein schmerzender Körper. Er breitete müde seine Robe auf den Sand und schlief ein, während das Feuer vor der Höhle immer kleiner wurde.
16
In der Nacht kam die Vision wieder. Ohne es zu merken, stand er plötzlich da und quälte sich durch die Sandwogen. Er war der Felsnadel näher als je zuvor. Steile Wände hoben sich aus dem Sand, aber er wußte, wie man die Spitze erreichte. Und dann kam die Stimme wieder.
»Du darfst nicht verzagen, Einsamer. Meine ganze Welt liegt in deinen Händen. Komm … «
Er erwachte, vor Kälte zitternd. Die künstliche Schicht an seinem Körper wärmte zwar, aber sie und die dünne Robe genügten in diesem Land nicht. Er sah sich nach Brennmaterial um, obwohl er keine Ahnung hatte, wie er es ohne einen radioaktiven Anzünder entflammen sollte.
Dann erreichte ihn der Geruch von Rauch und das Prasseln von trockenem Holz. Er drehte sich um. Am Flußufer brannte ein Feuer, und der Fremde saß davor und nagte an einem Stück Fleisch. Ketan ging unsicher hinüber. Er wußte nicht, wie der Mann ihn empfangen würde.
Der Fremde sah ihn gleichgültig an. Ausdruckslos bot er Ketan eine Scheibe Fleisch an, die er über dem Feuer geröstet hatte. Ketan setzte sich dankbar in den warmen Sand und aß.
Der Mann hatte zu essen aufgehört und vergrub das Gesicht in den Armen. Als er merkte, daß Ketan ihn ansah,
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