Der Mantel - Roman
hätte mich wohl ein Disziplinarverfahren erwartet, und Martha hätte das Ganze seelisch nicht verkraftet. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ich wusste nur eines: Ich hatte nur die Wahl zwischen dem einen und dem anderen. Ich hätte alles verloren, wenn ich mich für Sabine entschieden hätte. Damit war die Entscheidung klar. Also habe ich einen Schlussstrich gezogen. Ich habe ihr gesagt, dass sie gehen muss. Weil sonst alles aufgeflogen wäre. Und dass sie das Kind alleine aufziehen müsse, wenn sie es je zur Welt kommen lassen wollte. Aber dass ich natürlich für den Unterhalt aufkommen würde.«
»Ohne dein Kind je zu sehen?«
»Ja, anders hätte ich die strikte Trennung, die ich herstellen musste, ja nicht hinbekommen. Natürlich habe ich oft gedacht, dass da mein Kind ohne mich aufwächst. Aber ich hatte keine andere Wahl.« Er hielt kurz inne: »Jedenfalls sah ich damals für mich keinen anderen Weg.«
Sie waren wieder auf der Hauptachse des Friedhofs angekommen und gingen auf der breiten Platanenallee zurück zum Ausgang. Dort schauten sie kurz die Straße herunter und beschlossen, die gegenüberliegende Gaststätte aufzusuchen. Sie konnten sich draußen hinsetzen, die wenigen Tische an der Straße waren frei. Es war bald achtzehn Uhr, die Bewölkung hatte zum Abend hin zugenommen. Schmidt versuchte ein Lächeln, um die Stimmung zu heben: »Spät genug für ein Weißbier oder verbietet das die beamtete Stellung?«
Franz schien erleichtert, seine Beichte so weit hinter sich gebracht zu haben. »Die Einnahme von Weizenbier ist Teilerfüllung der bayerischen Beamtenpflichten.«
»Wusste nicht, dass du so witzig sein kannst – aber, was dachtest du macht sie in all den Jahren? Hast du nur Geld überwiesen oder auch versucht, dich zu kümmern? Wenigstens Nachforschungen anzustellen?«
Das Bier kam, sie stießen an, Franz nickte ihm zu, und sie lächelten beide etwas schief. Trotzdem war ihnen bewusst, dass ihnen so ein Gespräch noch nie gelungen war.
»Nun, ich zahlte. Wir sprachen nur sehr selten. Sie wollte nicht von mir angerufen werden. Sie wollte auch keinen sonstigen Kontakt und untersagte mir Annäherungen jeglicher Art.«
»Was du, folgsam, wie du erzogen bist, auch so gemacht hast?«
»So dumm es klingen mag, ja. Ich wollte einerseits wissen, wie es den beiden geht. Aber ich wollte auf keinen Fall, dass man davon Wind bekommt. Darum habe ich auch nichts gemacht.«
Schmidt bot seinem Bruder ein Zigarillo an. Der lehnte ab. »Ich weiß nicht, ob ich deine Entscheidung verstehen kann. Völlige Trennung von deinem Kind. Aber zugegeben, ich selbst war nie in so einer Situation. Wie hast du dann aber erfahren, dass sie für mich arbeitet? Und warum wolltest du dich gegen ihren Willen in ihr Leben drängen?«
»Ja, das ist die nächste Katastrophe. Sie kommt mir bald wie die folgenschwerste vor. Ein mir bekannter Anwalt, der auch viel öffentliches Recht bearbeitet, hatte mir von deinem Fall mit Mama erzählt. Der mit den Schüsseln. Und so kamen wir bei der Gelegenheit auf dich zu sprechen und dass er meinte, er habe den Namen meiner früheren Sekretärin jetzt bei dir gesehen. Er wollte einen Spaß daraus machen, fragte mich, ob wir auch sonst alles teilten. Furchtbar gelacht hat er. Und ich habe auf der Stelle eine Heidenangst bekommen, habe es nachgeprüft und dann all meinen Mut zusammengenommen, bevor ich sie auf dem Handy angerufen habe.«
Er trank einen hastigen Schluck. Schmidt schaute ihn irritiert an: »Und warum hast du sie so bedrängt? Warum wolltest du, dass sie bei mir aufhört? Was sollte das denn, du hältst dich doch auch sonst aus ihrem Leben heraus?«
»Ich glaube, ich habe in meiner panischen Angst einfach überreagiert. Ich wollte, dass sie um Himmels willen weiterzieht und hoffte, dass du noch nichts erfahren hast von der ganzen Geschichte. Ich traute ihr schon zu, dass sie das für sich behalten hatte. Aber ich war nicht sicher. Es ist doch kein Zufall, dass sie bei dir ist. Das willst du mir doch nicht erzählen. Warum, wenn nicht um mich in eine miese Position zu bringen, sollte sie den Job bei dir angenommen haben? Du bist ja nicht die einzige Kanzlei in der Stadt. Nein, sie hat genau dich ausgesucht. Aber ich hatte von dir in den Jahren zuvor ja nicht einmal eine Andeutung gehört. Das beruhigte mich einerseits. Vielleicht wusstest du ja wirklich nichts. Darum habe ich sie gebeten, bei dir zu kündigen und sich eine andere Stelle zu suchen.«
»Also am Telefon
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