Der Mantel - Roman
Sie zu arbeiten, gar nichts zu tun. Das ist eine völlig andere Sache. Ich habe mich von Franz für immer getrennt, er hat nicht einmal seinen Sohn kennenlernen wollen. Das ist nun alles so und soll sich auch nicht ändern. Sonst kann ich hier nicht bleiben!« Sie hatte es herausgeschleudert. Wie die Luft vor einem drohenden Gewitter stand ihr Satz in der beschaulichen Altbauküche.
Schmidt war erschrocken. Er machte einen Schritt auf sie zu: »Sabine, das ist doch alles Unfug. Mein Bruder will sich mit mir aussprechen. Das ist auch nötig, nach all den Heimlichkeiten, die schließlich auch meine Familie betreffen. Aber ich werde ihm keinen Einblick geben in …«, er stockte, »… in unser Verhältnis hier. Genügt Ihnen das als Versprechen?«
»Auch nichts über Mathias Wimmer?«
Schmidt war augenblicklich hellwach: »Wieso über Wimmer? Was gibt es da zu sagen?«
»Eben nichts«, erwiderte sie trotzig.
Er setzte nach: »Dazu könnte ich jedenfalls nichts beitragen. Übrigens hat auch Fabian mich nach Wimmer gefragt.« Böser Trick, dachte er im selben Moment.
»Und was wollte er wissen?«
»Nicht viel, er hat wohl ihre Beziehung zu Wimmer nicht verstanden.«
»Ulrich, ist das eine Frage? Ja, Mathias Wimmer wünscht sich eine engere Beziehung.«
»Na dann! Toll, danke.« Schmidt drehte sich um, verließ die Küche und ging in sein Büro. Das hatte er gar nicht gut gemacht, dachte er. Einen Kaffee bekam er auch nicht.
Am folgenden Tag war Schmidt richtig nervös. Die Aussicht auf ein schwieriges Gespräch mit Franz strengte ihn an. Auch der Gang mit Shiva fiel ihm besonders schwer. Schmidt litt mit seinem vierbeinigen Freund. Er lockte ihn mit einem Hundekuchen auf eine kurze Strecke am Fluss. Kaum zurück, rief seine Mutter unerwartet an. Ob er Zeit hätte für »Eugen Onegin« am morgigen Abend. Sie habe noch eine Karte. Und da sie sich länger nicht gesehen hätten … Er willigte ein, Staatsoper um 19 Uhr. Die Frage war nur noch, wer sich um Shiva kümmern würde. So wie es ihm ging, waren vier Stunden nachts allein für den Hund kaum zumutbar. Er würde eine Lösung finden. Vielleicht Sabine Graseder.
Sie trafen sich am Haupteingang des Friedhofs. Ein blau-weiß bewölkter Abend, warm, einladend. Der Friedhof war gut besucht. Franz war mit dem Auto gekommen. Sein einst dichtes dunkles Haar wies weiße Einsprengsel auf. Er kam rasch auf ihn zu. Ihr Handschlag war staatsmännisch, um die gegenseitige Befangenheit zu überspielen.
»Wie geht es deinem Hund?«, stellte Franz als Frage in den weiten Raum zwischen ihnen beiden. »Hatte ich dir schon gesagt, meine ich. Ist zu krank, um ihn mitzunehmen. Gehen wir los.« Schmidt war in Freizeithose mit Sakko, sein Bruder im grauen Anzug. So durchquerten sie den Eingang mit seinen Vergänglichkeitsmahnungen. Schmidt führte. Er dachte, dass er hier viel öfter war als sein Bruder, der das Familiengrab ausgesucht und alles so sorgsam arrangiert hatte bei Karls Bestattung.
Franz schien Gedanken zu lesen: »Du warst oft hier?«
»Ja, oft. Abschied nehmen dauert.«
»Hast du Mama in letzter Zeit gesehen?«
»Erstaunlich, dass du das fragst. Sie hat mich heute angerufen und in die Oper eingeladen.«
»Dann gratuliere ich dir, das hat sie bei mir noch nie gemacht.«
Schmidt schaute an dem weit größeren jüngeren Bruder aufmerksam hoch: »Hast du dich je dafür interessiert? Für ihre Bühnenhobbys?«
Sein Bruder klang genervt: »Uli, ich habe es ja nie entwickeln können. Du warst ja der Denker und Künstler der Familie. Ich war der Einfache, der Praktische. Richtig?«
Schmidt dachte nach, während die Grabsteine in der Abendsonne zu leuchten begannen: »Wir sind verschieden, Franz. Du warst und bist anders veranlagt. Sicher praktischer als ich. Aber deswegen nicht einfacher, es war dir nicht verboten, Interesse für darstellende Künste und Musik zu entwickeln. Dafür kannst du doch unsere Eltern nicht verantwortlich machen.«
Franz ignorierte den Hinweis und wiederholte sein Argument: »Wir sind nicht gleich erzogen worden. Ich musste büffeln und Papas Laufbahn einschlagen. Du durftest träumen, dich gehen lassen, trödeln.«
Schmidt begann sich zu ärgern: »So ein Quatsch. Geschwister sind letztlich immer verschieden, und Eltern behandeln jedes Kind jeweils nach seinen Bedürfnissen und seinen Möglichkeiten. Mama hat sich vielleicht mehr mit mir beschäftigt, weil ich, na ja, weil ich musischer war als du. Du hast ja auch keine Gedichte
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