Der Mantel - Roman
geschrieben und kein Klavier gespielt. Aber wenn du ehrlich mit dir bist, Papa hat doch nur dich gelobt. Auf seine Veranstaltungen hat er dich schon als Kind mitgenommen. Wie einen Beamtenanwärter im Stimmbruch. Dem Kaiser Franz Josef Strauß einen Nachwuchs heranziehen. Was soll ich denn dazu sagen? Mich so beklagen wie du?«
Sie waren nun an dem schwarzen Grabstein mit dem Namen seines Stiefvaters angekommen. Schmidt vermisste etwas, noch nie war er ohne Shiva hierhergekommen. Und jetzt stand er auch noch mit seinem Bruder hier, mit dem ihn keine einfache Beziehung verband. Er schaute auf die Bepflanzung und sagte leise: »Du erinnerst dich? Das hattest du mir doch aufgetragen, die Grabbepflanzung aussuchen. Du den Stein mit der Inschrift. Gefällt dir alles zusammen?«
Franz sah ihn misstrauisch an: »Was soll denn das jetzt schon wieder?« Franz vermutete immer Hintersinn bei seinen Bemerkungen. Ironie war ihm fremd, also witterte er sie immer, wenn Ulrich etwas sagte.
»Nichts. So wie ich es sage. Ein gutes Gemeinschaftswerk von uns beiden. Von dir in Auftrag gegeben.«
»Irgendjemand musste sich drum kümmern. Du hättest es ja doch nicht von alleine gemacht. Genau das meinte ich vorhin. Du hast wie immer gewartet, bis jemand die Verantwortung übernahm. Wie in all den Jahren davor. Papa hat dich geschont, mich dagegen ständig gefordert.«
»Franz, jetzt reicht es!« Seine Stimme war nun schon zu laut für den Friedhof. »Du hast doch förmlich deine Thronfolge in der bayerischen Beamtenhierarchie inszeniert. Für mich war es recht grässlich.«
Sie hatten nebeneinander vor dem glatten schwarzen Stein gestanden. Nun wandten sie sich einander zu, aufgewühlt von angestauten Erinnerungen und Vorwürfen, die sich in bitteren Worten entluden. Franz packte seinen kleineren rundlichen Bruder am Revers des Sakkos und schüttelte ihn. Er schrie: »Schlaue Sprüche, wie immer. Spott. Inthronisierung!« Er schüttelte ihn heftiger in wachsender Erregung: »Du hättest doch nicht einmal die Liste mit den Trauergästen zusammenstellen können. Aber mich verhöhnen, das kannst du!«
Schmidt riss sich los. Nun funkelten auch seine Augen: »Bist du wirklich so selbstgefällig, dass du nicht erkennst, wie du dich als einziger rechtschaffener Sohn deines Vaters produziert hast?« Schmidt, der einen Schritt zurückgetreten war, um aus der Reichweite seines Bruders herauszukommen, schrie.
Franz brüllte zurück: »Was willst du von mir? Was soll der …«
In dem Moment machte sich eine alte Frau zwei Nebengassen entfernt an einem Grab arbeitend lautstark bemerkbar: »Hören Sie sofort auf zu schreien. Das ist ein Friedhof. Schämen sollten Sie sich!« Die weißhaarige Frau kniete an einem Blumenbeet.
Franz hatte sich erschrocken umgedreht und rief: »Verzeihung. Entschuldigen Sie bitte die Störung.« Sofort drehte er sich wieder zu Ulrich um: »Also«, sagte er mit unterdrückter Wut, »was sollte das mit dem einzigen rechtschaffenen Sohn meines Vaters?«
Schmidt antwortete leise: »Damit wollte ich dir nur sagen, dass du dir über deine angeblich so schlechte Behandlung keine Gedanken machen musst. Papa ist nur dein Vater.«
Franz stand wie angewurzelt, der große knochige Mann schien in sich zusammenzusacken: »Was? Was sagst du da?« Nun war auch er leise. Kaum vernehmbar. Schmidt hatte durch die laute Ermahnung Zeit gehabt, seine Enthüllung zu überdenken, sie zurückzuziehen. Aber es trieb ihn an diesem Ort, mit allem aufzuräumen.
»Was ich gerade gesagt habe. Ich bin nicht Karls Sohn, nicht so wie du. Ich stamme aus einer früheren Beziehung von Mama.«
Franz rang nach Worten: »Aber – ich verstehe immer noch nicht. Woher weißt du das, oder besser, seit wann weißt du das? Hast du mit Mama darüber geredet? Wusste Papa das alles?«, sprudelten seine Fragen.
»Offenbar hat dir Mama nichts erzählt. Ich habe davon erst bei seinem Begräbnis erfahren. Nicht gerade der perfekte Moment für eine solche Eröffnung. Ich weiß nicht, was Papa wusste. Ich habe jedenfalls viel nachgedacht. Über alles. Und genau hier an dieser Stelle«, er blickte auf das Grab, »habe ich mit Papa Zwiesprache gehalten. Viele Stunden, Tage. Und eines habe ich bestimmt daraus gelernt. Ich bin nicht benachteiligt worden von Karl. Er war immer mein Vater, was auch immer er wusste. Aber er war dir näher. Er hat dich von Natur aus einfach besser verstanden als mich. Er hat zwar alle gleich behandeln wollen, aber am Ende gab es für
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