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Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Titel: Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Tomeo
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überrascht Sie beide auf dem Kanapee, wo Sie gerade dabei sind, die günstigste Position zu suchen. Es sind aber auch noch andere Situationen möglich. Zum Beispiel können Sie es sein, der – aus schweren moralischen Bedenken oder physiologischer Unfähigkeit – der Frau Gräfin im entscheidenden Moment eine lange Nase macht. Oder die Aufforderung zum Ehebruch könnte von Ihnen ausgehen, Bautista, ohne daß Sie auf die Initiative von Dona Beatriz warten, denn von einem Mann mit einem derart sinnlichen Hinken wie dem Ihren kann man einiges erwarten. Möglich, daß sie dann einwilligt. Oder auch nicht. Es kann sogar sein, daß die Liebesavancen gegenseitig und gleichzeitig erfolgen oder, wiewohl gegenseitig, nicht gleichzeitig geäußert werden. Kurz, es kann so vieles geschehen. Quälen wir uns daher nicht länger. Was ich jedoch klarstellen möchte, ist, daß es mir völlig einerlei ist, was Sie mit der Frau Gräfin treiben. Auch ich habe meine Gelegenheiten gehabt, und der Teufel ist Zeuge, daß ich sie zu nutzen wußte. Nehmen wir jedoch an – ohne das Panorama noch mehr zu komplizieren –, daß Sie und die Frau Gräfin, das Alleinsein nutzend, miteinander zu kommunizieren wünschen und daß der Herr Graf beim Betreten des Zimmers Sie beide bei leidenschaftlicher Kommunikation überrascht. Das wäre das Schlimmste. Denn glauben Sie vielleicht, Bautista, daß der Herr Graf auch nur die geringste Lust verspürt, die Lektüre des Briefes fortzusetzen, nachdem er seine Frau in den Armen des Briefträgers überrascht hat? Ich glaube nicht, daß sich die Sitten in all den Jahren so verändert haben, Bautista. Deshalb würde ich es vorziehen, daß Don Demetrio Sie allein empfängt. Wir würden uns eine Menge zusätzlicher Probleme ersparen, und im Notfall könnten Sie immer noch in aller Ruhe auf die Frösche zurückgreifen. Letztlich haben wir noch gar nicht die Möglichkeit in Erwägung gezogen, daß Don Demetrio im Verlauf dieser zwanzig Jahre Witwer geworden ist. Zwar habe ich keine Nachricht in diesem Sinne erhalten; auch ist der Prozentsatz der Ehefrauen, die ihre Männer überleben, weitaus höher als umgekehrt. Doch im Falle Don Demetrios könnte es die Ausnahme gegeben haben, welche die Regel bestätigt. Und für uns wäre es am günstigsten, wenn Don Demetrio verwitwet wäre. Sie wissen ja, wie man sagt: Niemand lebt glücklicher als ein Witwer ohne Kinder. Nehmen wir jetzt einmal an, die Dinge sind so, wie wir sie wünschen. Nehmen wir an, Don Demetrio, verwitwet und glücklich, empfängt Sie allein. Kaum erblickt er Sie an der Tür, springt er vom Kanapee auf und läuft Ihnen entgegen. Vom ersten Augenblick an weiß er, daß Sie mein Diener sind. »Gott sei gelobt!«, ruft er aus. »Geben Sie mir endlich diesen Brief, auf den ich schon so lange warte!« Sie übergeben ihn ihm, und er beginnt, ihn wie eine Fahne über dem Kopf zu schwenken. Um seinen Jubel zu rechtfertigen – der für Sie in gewisser Weise unverständlich ist –, erklärt er Ihnen, daß dieser Brief endlich einen Schlußpunkt unter zwanzig Jahre Ressentiments und Entfremdung setzt. Zumindest ist das seine Hoffnung. »Ihr Herr mußte jedoch den ersten Schritt tun«, erklärt er, sich in die Brust werfend, »denn Sie müssen wissen, daß ich der Beleidigte war und er der Beleidiger.« Fragen Sie mich jetzt nicht, Bautista, was dies für eine Beleidigung war. Ich erinnere mich nicht, zuviel Zeit ist vergangen. Es kann sein, daß es zwischen dem Herrn Grafen und mir irgendeine Differenz gegeben hat. Vielleicht ging es um eine Frau. Womöglich Dona Beatriz, doch die Einzelheiten hat der Wind davongetragen. Don Demetrio ist jedoch ein rachsüchtiger Mensch, und wenn es tatsächlich etwas zwischen uns gegeben hat, wird er es nicht vergessen haben. Ich kenne ihn recht gut. Männer wie er mögen die Zähne verlieren, aber niemals das Gedächtnis. Er wird also in all den Jahren auf mein Entschuldigungsschreiben gewartet haben. Geben Sie jetzt acht, was geschehen kann, denn die Dinge werden immer komplizierter. Don Demetrio nimmt den Brief entgegen, liest den Namen des Absenders und reibt sich die Hände. Er erinnert sich sehr gut an mich und denkt, daß er nun endlich volle Genugtuung für eine alte Beleidigung erhalten wird. Seine Ehre wird wiederhergestellt sein. Er öffnet den Umschlag, entfaltet den Brief und seufzt. Seine Nasenflügel weiten sich unmerklich, seine Augen glänzen. Was aber kann er lesen? Nichts, vom Briefkopf abgesehen.

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