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Der Medicus von Saragossa

Titel: Der Medicus von Saragossa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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den Blick ab. Er redete zu sich selbst, so leise, daß Jona sich vorbeugen mußte, um ihn zu verstehen.
    »Die sind überall, die Juden. Verflucht sollen sie sein«, flüsterte er.
    Am nächsten Tag kam Maria Juana allein und völlig verstört zu Jona, auf ihrem Esel, der aussah, als wäre er mit der Peitsche geschlagen worden.
    »Man hat ihn in das kleinere Gefängnis gebracht, wo die Verrückten und die Armen eingesperrt werden.«
    Sie sagte, sie habe die Kinder bei einem Nachbarmädchen gelassen, und Jona befahl ihr, zu ihnen zurückzukehren. »Ich gehe zum Gefängnis und sehe nach, ob ich etwas für ihn tun kann«, sagte er und ging sofort in den Stall, um sein Pferd zu satteln.
    Das Gefängnis für Arme und Verrückte war berüchtigt für ausgesprochen schlechtes und sehr wenig Essen, und so hielt er unterwegs an, um einen Laib Brot und zwei kleine Ziegenkäse zu kaufen. Das Herz wurde ihm schwer, als er das Gefängnis erreichte, denn der Ort war ein Angriff auf alle Sinne. Noch bevor er unter dem hochgezogenen Fallgitter des Tores hindurchging, überfiel ihn der entsetzliche Gestank – eine Essenz aus Kot und Schmutz – mit solcher Macht, daß sich ihm der Magen umdrehte, während die Kakophonie aus Schreien, Flüchen und Verwünschungen, Lachen und Klagen, Gebeten und Gebrabbel in den großen allgemeinen Lärm einging, wie Bäche, die zum Tosen eines mächtigen Stroms beitragen. Der Lärm eines Irrenhauses.
    Der Inquisition war dieser Ort gleichgültig, und eine kleine Münze erkaufte ihm die Aufmerksamkeit des Wachpostens.
    »Ich möchte zu Fray Bonestruca.«
    »Na, dann schaut mal, ob Ihr ihn in diesem Haufen Menschheit findet«, erwiderte der Posten. Es war ein Mann mittleren Alters mit ausdruckslosen Augen und einem teigigen, pockennarbigen Gesicht. »Wenn Ihr mir das Essen gebt, sorge ich dafür, daß er es bekommt. Wenn Ihr es ihm gebt, ist es vergeudet. Dann stürzen sich die anderen auf ihn und nehmen es ihm weg.«
    Als Jona den Kopf schüttelte, sah der Posten ihn böse an.
    Es gab keine Zellen, nur eine Abtrennung aus den schweren Eisenstreben, aus denen auch das Fallgitter bestand. Auf der einen Seite waren der Posten und Jona. Auf der anderen Seite befand sich eine weite offene Fläche, eine von Verlorenen bevölkerte Welt.
    Jona stand am Gitter und starrte in den riesigen Käfig voller Leiber auf der anderen Seite. Wer die Mittellosen waren, konnte er nicht erkennen, denn alle, die er ansah, schienen wahnsinnig zu sein.
    Schließlich entdeckte er den Mönch, der zusammengesunken an der hinteren Wand auf dem Lehmboden saß.
    »Fray Bonestruca!«
    Jona wiederholte den Namen mehrmals, doch seine Stimme ging in dem Tumult unter. Der Mönch hob nicht einmal den Kopf. Immerhin erregten seine Rufe die Aufmerksamkeit eines zerlumpten Mannes, der hungrig das Brot anstarrte. Jona brach ein Stück von dem Laib ab und streckte es durch das Gitter, wo es gepackt und sofort verschlungen wurde.
    »Bring mir den Mönch«, sagte Jona und zeigte auf Bonestruca, »und du bekommst einen halben Laib.«
    Der Mann ging sofort nach hinten, zerrte den sitzenden Bonestruca auf die Füße und führte ihn zu Jona an das Gitter. Jona gab dem Mann den versprochenen halben Laib, doch der entfernte sich nur ein paar Schritte und starrte gierig die übrigen Lebensmittel in Jonas Hand an.
    Mehr und mehr Gefangene drängten sich heran.
    Fray Bonestruca sah Jona an. Es war kein leeres Starren. Ein gewisses Maß an Vernunft lag in dem Blick, ein gewisses Maß an Verstehen und Grauen, aber kein Wiedererkennen. »Ich bin Callicó«, sagte Jona. »Erinnert Ihr Euch nicht, Ramón Callicó, der Arzt?... Ich habe Euch ein paar Kleinigkeiten gebracht«, sagte er und reichte die beiden Käse durch das Gitter, die Bonestruca wortlos annahm.
    »Fray Bonestruca. Ihr habt mir gesagt, daß Ihr des Nachts mit einem Begleiter namens Tapia ausgeritten seid. Was könnt Ihr mir sonst noch über Señor Tapia sagen?«
    Bonestruca wandte den Blick ab, und Jona erkannte, daß es sinnlos war, weiter mit Fragen in ihn zu dringen.
    »Ich kann nichts für Eure Freilassung tun, außer Ihr zeigt Euch wieder im Vollbesitz Eurer geistigen Kräfte«, fügte er noch hinzu, weil er sich dazu verpflichtet fühlte. Angesichts dessen, was er hier sah, roch und hörte, kam ihm diese Mitteilung nicht leicht über die Lippen, obwohl ein Teil von ihm diesen Bonestruca wegen seiner schrecklichen Verbrechen gegen die Familie Toledano und so viele andere immer hassen

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