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Der Medicus von Saragossa

Titel: Der Medicus von Saragossa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Ernte. Auf seinem eigenen Land stutzte er ein weiteres Dutzend der alten Olivenbäume. Auch brachte er mehr Zeit als bisher mit der Übersetzung des Avicenna zu; einen großen Teil des Kanons der Medizin hatte er bereits übertragen, und dies machte ihn stolz und spornte ihn an.
    Reyna hielt Wort und schickte ihm eine junge Frau namens Carla Montesa, die ihm als Haushälterin dienen sollte. Sie war ein stämmiges Mädchen, das gerne arbeitete und ihm das Haus sauberhielt, aber sie redete kaum, und ihm schmeckte nicht, was sie kochte. Nach einigen Wochen schickte er sie wieder weg. Als Ersatz schickte Reyna ihm nun Petronila Alvarez, eine Witwe mit Gesichtswarzen; sie kochte zwar gut, lenkte ihn aber ab, weil sie zuviel redete, und er behielt sie nur vier Tage.
    Danach schickte Reyna niemanden mehr.
    Bald war es soweit, daß er seine allwöchentlichen Spielschlachten mit Bonestruca am Damebrett fürchtete, denn er wußte nie, ob der Mönch ihm als scharfsinniger Gegner entgegentreten würde oder als übellauniger Mann, dem Vernunft und Seelenruhe immer mehr entglitten.
    Eines Mittwoch abends empfing ihn Maria Juana an der Tür der finca und führte ihn in das hintere Zimmer, wo Bonestruca am Tisch saß, vor sich einen Stapel alter Schriften und nicht das Damebrett. Der Mönch betrachtete sein Gesicht in einem Handspiegel.
    Anfangs ließ Bonestruca Jonas Gruß unbeantwortet. Dann fragte er, den Blick noch immer auf den Spiegel gerichtet: »Seht Ihr Böses, wenn Ihr mich anschaut, Arzt?«
    Jona wählte seine Antwort mit Bedacht: »Ich sehe ein sehr schönes Gesicht.«
    »Ebenmäßige Züge, würdet Ihr sagen?«
    »Höchst wohlgeformt, Señor.«
    »Das Gesicht eines gerechten Mannes?«
    »Ein Gesicht, das erstaunlich unschuldig ist, als hätten ihm die Jahre nichts anhaben können.«
    »Kennt Ihr das lange Gedicht mit dem Titel Die göttliche Komödie von dem Florentiner Dante Alighieri?«
    »Nein, Señor.«
    »Schade.« Bonestruca nahm eins der zerfledderten Blätter vom Tisch und begann zu lesen:
    »Hätt' ein Gesicht wie Biedermanns Gesicht, gar gütig anzuschaun, von zarter Haut, der überige Leib war eine Schlange. Zwei Tatzen hatt' es, haarig bis zur Achsel, auf Brust und Kücken und an beiden Seiten war's ganz bemalt mit Knoten und mit Ringlein... «
    Nun sah er Jona an. »Das ist aus dem ersten Teil des Gedichts mit dem Titel ›Inferno‹. Die Beschreibung eines entstellten und abscheulichen Ungeheuers aus den tiefsten Kreisen der Hölle.«
    Jona wußte nicht, was er antworten sollte. Er meinte sich zu erinnern, daß dieser Florentiner Dichter schon lange tot war, denn sonst hätte er sich vielleicht gefragt, ob Dante diesen Mönch gekannt hatte.
    Bonestruca starrte weiter in den Spiegel.
    »Soll ich das Brett holen und die Steine aufstellen?« fragte Jona und ging zum Tisch. Dabei sah er die Rückseite des Spiegels und erkannte, daß er aus Silber war, wenn auch stark angelaufen. Am unteren Ende des Handgriffs entdeckte er das Zeichen des Silberschmieds: HT. Und wußte sofort, daß es einer der Spiegel war, die sein Vater für den Grafen von Tembleque angefertigt hatte.
    »Fray Bonestruca«, sagte er und hörte dabei die verräterische Spannung in seiner Stimme, doch Bonestruca schien sie nicht zu bemerken. Seine Augen waren auf das Spiegelbild gerichtet, doch blicklos, wie die eines Blinden oder eines Menschen, der mit offenen Augen schlief.
    Mit einer Hast, die er nicht zügeln konnte, griff Jona nach diesem Stück, das sein Vater angefertigt hatte. Doch als er es Bonestruca aus der Hand zu nehmen versuchte, merkte er, daß dessen Finger steif und unbeweglich waren. Er bemühte sich, den Spiegel dem Griff des Mönchs zu entwinden, bis ihm plötzlich der Gedanke kam, daß Bonestruca den Wahnsinn vielleicht nur vorschützte und alles mitbekam. Entsetzt verließ er ihn und stürzte zur Tür.
    »Señor?« frage Maria Juana, als er das vordere Zimmer betrat, doch in seiner Verwirrung eilte er an ihr vorbei und floh aus der finca.
    Als er am folgenden Nachmittag nach den Patientenbesuchen zu seinem Haus zurückritt, wartete Maria Juana vor der Scheune auf ihn. Sie saß in dem Schatten, den ihr angebundener Esel warf, und stillte ihr Kleines.
    Er lud sie ins Haus ein, doch sie lehnte ab, weil sie zu ihren anderen Kindern zurückkehren müsse, wie sie sagte. »Was soll ich nur mit ihm tun?« fragte sie.
    Jona konnte nur den Kopf schütteln. Die Frau erfüllte ihn mit großem Mitleid. Er stellte sich vor, wie sie

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