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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosendorfer Herbert
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einer das Brahms-Werkverzeichnis liest ? Als Lektüre? Wie einen Roman? Schmieder – BWV (Bach-Werke-Verzeichnis)? Köchelverzeichnis (Mozart)? Deutsch-Verzeichnis (Schubert)? Kinsky-Halm (Beethoven)? Ja, gibt es, zumindest einen: den Meister . Er gestand mir einmal, daß er gern vor dem Einschlafen noch im Bett ein Werkverzeichnis zur Hand nehme, sich an ein paar Seiten vergnüge – zum Beispiel Jähns Verzeichnis der Werke Carl Maria von Webers. Selbstverständlich konnte es sich der Meister nicht leisten, die teuren Werke zu kaufen. Er lieh sie sich aus der chaotischen Institutsbibliothek aus, die selteneren aus der Staatsbibliothek.
    »Bei Jähn übrigens«, sagte ich zu Carlone in der Madonna , »bemängelte er naserümpfend einen unschönen deutschnationalen Ton, den der sympathische, ritterliche Weber nicht verdiene.«
    »Ritterlich?« Sagte der Meister von Weber »ritterlich«? Ja, doch. Hat nicht Webers Musik etwas Ritterliches, Chevalereskes, etwas von holdem Leichtsinn?
    Es war für den Meister ein Leichtes, im Brahms-Werke-Verzeichnis festzustellen, daß es tatsächlich das Fragment einer lateinischen Meßkomposition gab, Fragment in dem Sinn, daß zwar die einzelnen Sätze abgeschlossen vorliegen, jedoch nicht alle kanonisch vorgeschriebenen Sätze vorhanden sind: nur Sanctus, Benedictus und Agnus Dei/Dona Nobis (alle aus der ersten Hälfte 1856 ungefähr), dazu allerdings ein, wenngleich in der Tonart nicht passendes Kyrie aus eben dem Jahr. Alles bei Doblinger gedruckt. Danach war es nicht schwer, das Notenmaterial beizubringen; und an einem sonnigen Pfingstsonntag zelebrierte also der Pfarrer Monsignore Rohrdörfer ein feierliches, von einer sage und schreibe Brahms-Uraufführung umkränztes Hochamt.
    Und nicht nur das. Dem Meister war selbstverständlich auch das von Müller von Asow/Trenner erstellte Verzeichnis der Werke von Richard Strauss geläufig. Darin findet sich ein Hinweis auf eine Meßkomposition des jungen Strauss, dem man, nach allem, was man vom Leben und Denken dieses Komponisten weiß, eine solche noch weit weniger zutraut als Brahms. Es lief über die Rotary-Schiene, daß eine geheime Verbindung zur Familie Strauss hergestellt wurde, die dann eine Photocopie des Autographen zauberte … Ein Werk des dreizehnjährigen Strauss, so wie das Brahmssche unvollständig, und nur mit zögerlicher Zustimmung der Erben durfte es gespielt werden – »und kein Getöne drum herum, wer weiß, ob es dem alten Strauss recht wäre …«
    »Es ist ihm recht«, sagte Rohrdörfer kurz und bündig und mit tiefster Überzeugung.
    Eine Meßkomposition Richard Wagners allerdings konnte selbst der Meister nicht hervorzaubern, wohl aber, und das war sein ganzer Stolz, eine vollständige große Messe für Soli, Chor, Orchester und Orgel von niemand Geringerem als E.T.A. Hoffmann, die dieser in seiner Zeit in Warschau komponiert hatte.
    *
    Es ist so. Ein Kreis, ein innerer, ein äußerer, eine Zeitlang ist das der Kern der Welt für eine Handvoll Leute, die dies und jenes machen, einen eigenen Jargon bilden, eigene Kürzel, die Außenstehende nicht verstehen; ab und zu stößt sich da zwar etwas aneinander, aber der Kreis bleibt geschlossen: ein Jahr, zwei Jahre, zehn … dann beginnt er zu zerbröckeln und endet damit, wenn sich zwei nach langer Zeit treffen, daß es heißt: »Weißt du noch?«
    »Weißt du noch, Carlone, wie der Göttliche Giselher auf einem Flohmarkt eine Hardangerfiedel gefunden hat?«
    »Für zwölf Mark gekauft.«
    »Die Verkäuferin hatte zwei Hardangerfiedeln. Die eine, erzählte der Göttliche Giselher, habe zwölf Mark gekostet, die andere acht. Der Göttliche hat sich für die zu zwölf Mark entschieden, worauf die Verkäuferin gesagt hat: ›Recht haben S’, daß Sie die teurere nehmen. Dann haben S’ was Gutes‹!«
    Weit gefehlt, daß der Göttliche Giselher die Hardangerfiedel spielen konnte. Er konnte überhaupt kein Instrument spielen. Er wußte nur alles über alle Instrumente. Er wußte überhaupt alles über alles. Zumindest redete er so. Einmal, es war anläßlich eines Essens bei einem der Doktoranden, ich habe den Namen vergessen, hielt der Göttliche Giselher eine Rede.
    Vorweg zu dem Essen: Der betreffende Doktorand lebte in einer Wohngemeinschaft, die aus ihm und einem Tiermediziner bestand. Der Tiermediziner, er hieß Morold, daran erinnere ich mich, Morold mit Vornamen. Was in solchen Eltern bei der Namenswahl wohl vorgeht? Der Tiermediziner jobbte am

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