Der Meister
Programmheften; sofern es so etwas bei diesem weit unterschätzten Komponisten noch gibt, mißhandelt man den Namen durch einen durch nichts gerechtfertigten Bindestrich«, schrie der Meister.
Wolf Ferrari hat seine Lieder und seine instrumentalen Werke mit Opus-Zahlen versehen, seine Opern nicht. Warum? Auch dem ging Carlone in seiner Arbeit nach und kam darauf, daß das eine alte Praxis der barocken Komponisten war.
Bartók fing dreimal mit dem Opus-Zählen an, kam bis 31 (1894), verwarf alles und zählte ab da neu, kam bis 21 (1897), verwarf nochmals, zählte ab der Rhapsodie für Klavier und Orchester op. 1 bis zum Wunderbaren Mandarin von 1927 (op. 19), und dann wurde es ihm, scheint’s, zu dumm, und er ließ die Opus-Zahlen-Zählung bleiben. Ähnlich Hindemith, der gab 1930 nach der Konzertmusik für Streicher und Blechbläser op. 50 das Opus-Zählen auf. Richard Strauss’ Opus-Zahlen versickerten nach dem Capriccio op. 85 (von 1940/41) mit dem Divertimento nach Couperin op. 86 (von 1941) und einigen Liedern op. 87 und 88, deren Opus-Zahlen aber nicht von Strauss, sondern vom Verleger stammen. Hat Strauss aus Ärger über die Niederlage Deutschlands die Opus-Zählung 1945 eingestellt oder aus Ärger über Hitler, der die Niederlage verschuldet hat und die Zerstörung von Strauss’ Vaterstadt? Der Trauer darüber hat er mit den Metamorphosen für 23 Solostreicher Ausdruck gegeben, welches Werk (so Carlone in seiner Doktorarbeit) es mit einigem gutem Willen auf Opus 100 gebracht hätte, hätte er alles, was er dazwischen geschrieben hat, mitgezählt. Warum hat er nicht? Rätsel über Rätsel, auch warum Strauss einem so herrlichen Stück wie der Burleske für Klavier und Orchester keine Opus-Zahl gegeben hat …
Bei Mozart hat es Opus-Nummern gegeben, die sind aber vom Verzeichnis des Ritters von Köchel überwölbt worden, auf 100 aber hätte er es, wenn er ordentlich gezählt hätte, ohne weiteres gebracht. Ein Welträtsel aber ist das Opus 100 von Beethoven: das Lied für zwei Singstimmen und Klavier »Merkenstein« – da hat der Löwe nun wirklich geschlafen. Warum hat er die Zahl nicht der großartigen A-Dur-Sonate gegeben, die jetzt mit dem ungraden »op. 101« dahinwankt?
Ein Sonderfall sind die früheren Sträuße, die Wiener mit dem scharfen ß. Die haben so schnell Geniestreich auf Geniestreich hinausgeschleudert, daß sie gar nicht gemerkt haben, wann sie bei 100 waren. Johann Strauß Sohn 1851: »Vöslauer Polka, op. 100« (die Zahl im Autograph allerdings von fremder Hand – des Verlegers Haslinger? – hinzugefügt), und es ging ja weiter und weiter:
»Souvenir de Nizza«, Walzer op. 200
»Flugschriften«, Walzer op. 300
»Kuß-Walzer« op. 400
Ein op. 500 gab es nicht mehr, nur fast: »Klänge aus der Raimundzeit« op. 479. Und auch der Pepi, Joseph Strauß, das musikalische Genie wider Willen: »Die Kosende«, Polka Mazur op.100, »Carrière-Polka« op. 200 … Den Vogel in dieser Hinsicht schoß aber Carl Czerny ab. Robert Schumann mokiert sich 1836 über Czernys Opus-Zahl 413, die »Brillante Phantasie: Erinnerung an meine erste Reise« und prophezeit, daß Czerny einst »als der Erste da (steht), den drei Nullen schmücken.« Fast: »Nouvelle école de la main gauche, op. 861«. Auf op. 1000 hat er’s nicht gebracht. Das blieb dem Komponisten Ludwig Gruber (1874–1964) vorbehalten, dem Schöpfer des Liedes: »Mei Muatterl war a Weanerin …« op. 1000.
*
Der Meister war ein wenig älter als der Durchschnitt der Doktoranden, etwas überständig. Das kam daher, daß er so ausführlich studierte. Der in der Wolle gefärbte Perfektionist, der Streber nach Vollkommenheit wurde mit nichts und nie fertig. Musikwissenschaft war nur sein Nebenfach, was aber nicht hieß, daß er dort weniger nach Vollkommenheit strebte. Sein Hauptfach war Romanistik mit dem Schwerpunkt – wenn ich mich recht erinnere – Alt-Provençalisch. Er arbeitete seit Jahren an seiner Dissertation über den Verfall und das Ende der okzitanischen Troubadour-Dichtung am Beispiel des Guiraut Riquier. Ich weiß das noch genau, weil er uns in später Stunde oft damit nervte, mit seiner dünnen, hohen und etwas krächzenden Stimme eines der hochbedeutenden 48 erhaltenen Lieder dieses Riquier (auf Alt-Provençalisch!) vorzusingen. Er arbeitete so langsam und so gründlich, daß Carlone einmal sagte: »Es ginge gleich schnell, wenn der Meister seine Arbeit sticken würde.«
»Ist sie je publiziert worden?« fragte
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