Der Meister des Drakung-Fu
sich Berge ab, die wie die dunklen Rücken von riesigen Urzeitechsen aussahen.
»Das ist das Changai-Gebirge«, antwortete Kerul.
Daka, Silvania, Kerul und Nara-Venja starrten die schwarzen Bergriesen an, als könnten sie bereits von hier aus den Schlund der Höhle des Yak-Drachen erkennen.
Sie waren seit zwei Tagen und Nächten unterwegs und hatten über sechstausend Flugkilometer hinter sich gebracht. Natürlich waren sie nicht die ganze Strecke selbst geflogen, sondern hatten getrampt. Mehrere Flugzeuge waren so nett, sie auf ihrem Rücken ein Stück mitzunehmen.
Kerul und Nara-Venja waren Drakung-Fu-Meister. Sie hätten auch die gesamte Flugstrecke aus eigener Kraft geschafft. Daka war ein Halbvampir. Aber einer, der sehr gut fliegen konnte. Sie hätte vielleicht die Hälfte der Strecke durchgehalten. Was das Fliegen betraf, war Silvania der Pinguin unter den Halbvampiren. Sie schaffte es bis an den Stadtrand von Bindburg und war froh, dort ein Flugzeug zu erwischen, das nach Kiew flog.
Kaum hatten alle auf dem Rücken des Fliegers nach Kiew Platz genommen, hatte Silvania mit dem Mobilnoi eine Textnachricht an ihre Eltern geschickt und Daka eine Fledermauspost. Genau wie sie es versprochen hatten. Es hatte die Schwestern sehr viel Überredungskunst gekostet, ihre Eltern davon zu überzeugen, dass sie ihren virtuellen Zwilling unbedingt begleiten und unbedingt in die sechstausend Flugkilometer entfernte Mongolei fliegen und unbedingt mit in die Höhle eines Yak-Drachen gehen mussten.
Elvira und Mihai Tepes hatten noch nie von einem Yak-Drachen gehört. Sie hatten noch nicht einmal einen normalen Yak in freier Wildbahn gesehen. Einen Drachen auch nicht. Zunächst waren sie strikt, ohne jeden Zweifel und unwiderruflich gegen die ganze Aktion. Schon die Vorstellung, dass ihre Töchter nächtelang allein durch die Weltgeschichte flogen!
Doch dann versprach Silvania, dass sie alle dreihundert Meter eine Textnachricht schreiben würde. Daka versprach, dass sie zur Sicherheit auch noch eine Fledermauspost schicken würde.
Mihai und Elvira kamen ins Grübeln.
Silvania versprach, dass sie trampen würden, und Daka versprach, dass sie beim Trampen zu keinem einsamen, fremden Piloten aufs Flugzeug steigen würden, sondern nur auf voll besetzte Flugzeuge mit netten Stewardessen.
Mihai und Elvira fingen an zu schwanken, zögerten aber noch immer.
Schließlich erklärte Daka mit geschwollener Brust, dass es um den Ruf der Halbvampire der ganzen Welt ging und sie Kerul nicht im Stich lassen dürften. Silvania fügte hinzu, dass Kerul als virtueller Zwilling fast so etwas wie blutsverwandt wäre und Verwandtschaft müsse zusammenhalten. Auch und gerade, wenn es gefährlich wurde. Das würde sogar Onkel Vlad sagen.
Da musste Mihai Tepes vor Rührung seufzen und vor Stolz schniefen. Das waren seine Töchter! Sie setzten sich für andere ein, hielten zusammen und scheuten dabei keine Gefahren. Fast wie echte Vampire.
Auch Frau Tepes war ganz angetan von der Rede ihrer Töchter. Daka und Silvania hatten recht – Kerul war alleine Tausende Kilometer geflogen, um bei ihnen Schutz und Hilfe zu suchen. Sie hatten ihn aufgenommen, er hatte in ihrem Garten geschlafen und ihre Gürkchen gegessen. Sie konnten ihn jetzt nicht einfach selbst seinem Schicksal überlassen.
So kam es, dass Kerul und Nara-Venja zwei Tage später mit ihren neuen Freundinnen aus Bindburg über ihrer Heimat kreisten. »Seht ihr den großen schwarzen Punkt dort unten neben der Senke?«, rief ihnen Kerul zu. »Das ist unsere Jurte.«
»Die ist ja riesengroß«, sagte Daka.
»Und dort, gleich links daneben, ist die Senke, in der die Drakung-Fu-Prüfungen stattfinden«, rief Kerul. Er musste an seinen letzten Kampf mit Bajar denken. An das berauschende Gefühl, das er beim Sieg gespürt hatte. Und daran, wie unehrenhaft er Ulan-Vampor wenige Stunden später verlassen hatte. Doch jetzt war er zurück. Und er war nicht alleine. Tausende Kilometer von seiner Heimat entfernt hatte er Freunde gefunden. Mit ihrer Hilfe würde er den Yak-Drachen besiegen und als Held in die Gemeinschaft der Vampgolen zurückkehren. Oder zusammen mit ihnen zu Asche verfallen. Dieses kleine Detail war noch etwas unklar.
»Ich bringe euch noch zum Eingang der Höhle«, sagte Nara-Venja und flog voran.
Kerul warf einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf die Jurte. Er dachte an seine Mutter. Ob sie ahnte, dass er nur wenige Höhenmeter von ihr entfernt war? Vielleicht sah er sie
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