Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
369mal geliebt hast, werde ich satt sein«, hauchte sie mir ins Ohr, als sie mir die Seite ihres Talismans erklärte, auf der ein magisches Quadrat aus neun Spalten eingraviert ist, dessen Zahl 369 ergibt. Auf der anderen Seite ist eine Frau abgebildet, die ein langes fließendes Gewand trägt und mit ihren beiden Füßen die nach oben offene Sichel des Mondes berührt. »Solange Luna auf dem Talisman in ihrer rechten Hand den zunehmenden Mond emporhebt und solange der Stern über ihrem Haupt schimmert, so lange wird meine Liebe zu dir brennen.«
»Nach dem Essen in der Laube?«
»Ich komme!« flüstert sie mir zu und ich spüre, wie ihr Vorschlag meine Phantasie beflügelt. Das ist die einzig richtige Antwort auf das Spiel Katharinas mit dem Copialbuchpfleger. Mit Leidenschaft werde ich Antonias Backen küssen … jetzt erst recht!
Ich mache es mir bequem, lockere die neuen, drückenden Schuhe, löse den Messingknopf, der auf meinen Hals preßt, öffne mein Wams ein wenig und lege die Füße auf den freien Stuhl neben mir.
Ich höre Geräusche, Stimmen klingen abwechselnd näher und ferner. Beinahe wäre ich in tiefen Schlaf versunken, wenn mich nicht die Schritte, begleitet vom Knarzen und Knacken der alten Holztreppe, aufgeschreckt hätten. Sie kommen!
Eilig schnüre, knöpfe und ziehe ich alles an mir wieder fest, stehe auf, gehe zum Fenster und sehe hinüber zum Garten, der still im warmen Licht dieses Spätsommernachmittags liegt.
Man begibt sich wieder zu Tisch.
»Ich muß heute noch in die Kanzlei, einen Befehl ausschicken«, höre ich Endorfer sagen, »gegen einen Mann, der sich eine ziemlich merkwürdige Verirrung zuschulden kommen ließ.«
»Das ist sehr schade, denn wir dachten, Ihr habt für uns heute nachmittag unbegrenzt Zeit. Ist diese Angelegenheit für Euch so dringlich?« entgegnet Katharina.
»Ja, leider. Es ist ein Mann, der seine Frau Fremden preiszugeben scheint. Die Familie der Frau fordert daraufhin mit Bestimmtheit, man möge den Mann endlich einsperren. Da ich bis heute für ein Mitglied unserer Kanzlei zusätzlich das Buch C AUSA D OMINI führe, muß bis morgen, bevor ich das Buch übergebe, alles eingetragen sein.«
»Ist diese Strafe nicht viel zu hart?« werfe ich ein, um mich an dem Gespräch zu beteiligen.
»Ich finde sie viel zu mild«, erwidert Endorfer. »In manchen Ländern sind diese Männer dem Tode geweiht.«
»Kann es denn sein, daß diese Frau ihre Tugenden absichtlich aufgegeben hat? Die Welt und auch Innsbruck ist doch erfüllt von solchen!« fragt Katharina.
»Es ist müßig, weitere Überlegungen anzustellen, verehrte Jungfer. Das Verhör wird die Wahrheit ans Licht bringen.«
»Ja, ja, die Tugenden – wie wird das Laster durch sie verschönt; man wird ganz trunken von ihnen!« rufe ich aus.
»Ihr überschreitet die Grenzen der Schicklichkeit, Herr Dreyling!« ermahnt mich der Schreiberling mit einem erlesen feindseligen Unterton in der Stimme.
Dann tritt er vor mich. Das ist die Situation, auf die ich gewartet habe. Mit einem Lächeln antworte ich ihm: »Schon lange wollte ich einen Menschen kennenlernen, der mir immer dann, wenn er kurz vor dem Samenerguß steht, in allen wichtigen Lebensfragen Lehre und Mahnung sein kann.«
Daraufhin schiebe ich ihn mit beiden Händen von mir weg.
Aschfahl im Gesicht, begleitet von einem leisen Kichern Katharinas, steht er wie angewurzelt im Raum.
»Ach, sieh mal an, da seid Ihr ja alle! Es ist, so glaub’ ich, grad’ der richtige Moment …«, tritt Max ins Zimmer. »Die Lene bringt gleich die ersten Brandküchlein herauf. Kommt, wir trinken noch schnell ein Glas Wein zusammen.«
Kurze Zeit später sitzen wieder alle vereint am Tisch. Die Brandküchlein, von Antonia frisch zubereitet und gebacken, schmecken heute besonders gut, was sich an den Mengen erraten läßt, die schnell in unseren Bäuchen verschwinden.
Die Herrin wendet sich plötzlich etwas unsicher an unseren Gast: »Vielleicht mögt Ihr unser Haus sehen?«
Zu Maxens Entsetzen stimmt Endorfer dem Vorschlag mit Begeisterung zu, bittet jedoch gleichzeitig, den Vorschlag auf übernächsten Sonntag zu verschieben, weil ihn jetzt die Kanzlei unwiderruflich dringend brauche.
»Das ist aber schade«, bedauert die Herrin. »Dann werdet Ihr Euch also erst übernächsten Sonntag ein wenig hier umsehen können. Dürfen wir Euch wieder zum Mittagsmahl erwarten?« flötet die Herrin und streckt ihm die Hände entgegen.
»Am übernächsten Sonntag müßt Ihr
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