Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
»Der Admiral befiehlt alle Kapitäne zu sich.«
»Was vermutet Ihr?« frage ich Fenner am Fallrepp.
»Ich vermute Lissabon. Jetzt holt er sich den Marques de Santa Cruz persönlich. Seine Ruhmsucht ist unersättlich.«
»Da wird hoffentlich noch etwas für uns abfallen!« verabschiede ich ihn, bevor er sich von einer Pinasse zur E LIZABETH B ONAVENTURE bringen läßt.
Donnerstag,
der 8. Juni
»Plymouth voraus!« meldet der Toppgast.
Sein Siegeswille, sein Geltungsbedürfnis, sein Durst auf Beute und sein immerwährender Erfolg gehören wie selbstverständlich zu Drake, sobald er einen Hafen mit Schiffen verläßt. Cadiz und was danach folgte, belegen meine These.
Zunächst segelte das Geschwader nach Kap San Vicente zurück, eroberten das Schloß Sagres, segelten wenige Tage später nach Lissabon, um Santa Cruz aus dem sicheren Hafen aufs offene Meer zu bitten, damit er eine Lektion empfangen könnte, was dieser jedoch höflich ablehnte. Drake und das Geschwader klopften damit offiziell an die Tür Philipps II. Doch selber in die Tejomündung einzudringen mit ihren heiklen, engen Kanälen, mit ihren Sandbänken, wirkungsvoll beherrscht von den Batterien des Kastells St. Julian und Fort Cascaes, davor schreckte sogar Drake zurück. Das Risiko war denn doch zu groß. Was in Cadiz seine Wirkung verfehlt hatte, das hätte in der Tejomündung gut zusammenspielen können: Küstenbatterien, in deren Reichweite wir gelegen hätten, das Fehlen von Lotsen und eine hohe Anzahl von Galeeren, die bereit lagen, hätten uns in arge Bedrängnis bringen können. Andererseits war die Hilflosigkeit, mit der Sante Cruz auf Pulver, Kanonen, Proviant, Fässer und Schiffe im Hafen von Lissabon wartete, die größte Genugtuung für unsere Kapitäne und Mannschaften. Wir hielten den Feind und die gesamte Küste in Atem, reizten den König, demütigten seinen größten Führer und »Kapitän der Weltmeere« bis zur Lächerlichkeit und wirbelten seine Pläne durcheinander. Das Balancespiel beherrschte Drake bis zur Vollendung – und er kostete es voll aus.
Wenig später blockierten wir wieder das Kap San Vicentes, um die Verstärkung der in Lissabon liegenden Flotte durch Geschwader aus dem Mittelmeer zu verhindern. Kapitän Fenner, den Drake immer mehr zu seinem Stellvertreter machte, womit er zugleich seinen Vizeadmiral Borough zurücksetzte, antwortete mir über den Sinn und Zweck der Operation:
»Wir halten dieses Kap sehr zu unserem Nutzen und sehr zu ihrem Schaden, was denn auch einen erheblichen Vorteil zeitigt, denn wir liegen zwischen ihnen und ihren Heimathäfen, so daß der Rumpf ohne seine Glieder ist. Überdies können sie nicht zusammenkommen, da sie in keiner Weise gerüstet sind …«
Die plötzliche Abreise mit Kurs auf die Azoren überraschte uns daher um so mehr. Bis auf den heutigen Tag, an dem wir in den Plymouth Sund einlaufen, liegt ein Geheimnis über dem plötzlichen Entschluß unseres Admirals, warum er das Kap Vicente ohne eine Begründung verlassen hatte. Das ganze Geschwader brach durch diesen Entschluß auseinander. Wir nahmen an, daß einige von ihnen, zerstreut durch schwere Stürme, Kurs auf England genommen hatten.
Fenner und ich hingegen spekulierten wild über die möglichen Ursachen, die unsere Königin im Ergebnis gleich um mehr als 40 000 Pfund reicher machen sollte. Drake war schon immer wild auf Briefe, Logbücher und Seekarten. Die Schiffe in Cadiz waren danach sorgfältig durchsucht worden. Wir nahmen an, daß er aus den Kisten voll Logbücher und Pergamentrollen diejenigen erwischt hatte, die ihm verrieten, daß die S AN F ELIPE , von Goa kommend, mit einer Ladung wertvoller Gewürze und Waren des Ostens, über die Azoren Lissabon anlaufen würde. Pech gerade auch für die Londoner Schiffe, die sich ungefragt abgesetzt hatten und zum Zeitpunkt der Kaperung schon wieder in der Themse lagen. Ihr Anteil an der S AN F ELIPE wird ihnen somit versagt bleiben. Ebenfalls flüchtete die G OLDEN L ION , SO daß unsere Geschwader auf sechs Galeonen und einige Pinassen zusammengeschrumpft war.
Wie ein Gemälde liegt Plymouth vor uns. Die S AN F ELIPE , die unsere Galeonen haushoch überragt, segelt zwischen der B ONAVENTURE und unserem Schiff in den Sund hinein. Die riesige Prise übersteigt nach meiner Einschätzung den Wert der gekaperten, versenkten oder verbrannten Schiffe und Ladungen in der Bucht von Cadiz um das Dreifache.
»Wir sind wieder zu Hause!« klatscht Fenner freudig in die
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