Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
ich ihr das Pergament aus der Hand.
»An Adam Dreyling, Herrn zu Wagrain.«
»Das Schreiben ist an mich gerichtet – wieso ist das Siegel erbrochen?«
»Das geht mich schließlich auch etwas an!« zischt meine Stiefmutter.
Ich überfliege den Inhalt:
… und somit überschreibe ich all meine feste und bewegliche Habe, so bis zu diesem Zeitpunkt in Schwaz und Tirol von mir erworben oder von meinem Vater, Hans Dreyling dem Älteren von Steineck, Herrn zu Wagrain, an mich gefallen, meinem noch ungeborenen Neffen oder Nichte, Sohn oder Tochter meines Bruders Adam Dreyling, Herrn zu Wagrain, und seiner Ehegattin Maria, Tochter des Faktors Benedikt Katzbeck aus Schwaz.
Unterzeichnet und gesiegelt den 26. April Anno Domini 1574.
Ulrich Dreyling, Herr zu Wagrain.
»Ich werde das niemals hinnehmen, daß meine Söhne bestohlen werden, daß man sie einfach wortlos übergeht! Bis zum höchsten Gericht werde ich dieses Papier anfechten!«
Ich drehe mich um, lasse meine Stiefmutter einfach stehen, steige die Treppen hinauf.
Maria empfängt mich zitternd, in ihren Augen schimmern Tränen: »Ich hatte solche Angst um dich.«
Ich drücke sie sanft an mich, streichele über ihr Haar, bis das Zittern nachläßt.
Behutsam löse ich mich von meiner Frau, trete zu der großen, eisenbeschlagenen Truhe hinüber, hebe den Deckel, drücke eine verborgene Feder zurück und öffne das Geheimfach: ein Ledersäckchen mit hundert venezianischen Gold-Grossi und zweihundert Dukaten als Notgroschen, meine Bestallungsurkunden als Häuer, Schichtmeister und Schiener, der Heiratsvertrag mit Maria, eine Abschrift des Testaments meines Vaters, mein Tagebuch.
Hierzu lege ich nun das Buch Agricolas, den Brief Reisländers und die Vermögensüberschreibung Ulrichs an unser ungeborenes Kind.
Während ich Geheimfach und Truhe wieder sorgsam verschließe, bringt Kreszenz eine mächtige Platte mit Brot, kaltem Braten, Schinken und Käse herein.
»Ein Teller warme Suppe steht schon auf dem Herd und ein großer Becher Würzwein, Herr Adam.«
Schnell schiebe ich mir heißhungrig ein großes Stück Brot mit Schinken in den Mund.
»Schlafe noch ein wenig«, drängt mich Maria.
»Dafür ist die Zeit zu knapp. Ich muß nach Innsbruck zum Landesfürsten.«
»Wann?«
»In einer knappen Stunde.«
»Aber weshalb ausgerechnet du?«
»Die ganze Knappenschaft zieht los. Gib mir bitte etwas Trockenes und Sauberes zum Anziehen!«
Mit einer Hand essend schäle ich mich aus meinem verdreckten, feuchten Lederzeug.
»Du hättest dir den Tod holen können in den nassen Sachen!« entsetzt sich Maria, als sie das Leder in die Hand nimmt. Ich gebe ihr einen Kuß auf die Nasenspitze:
»Nun, wie du siehst, habe ich’s überlebt. Wird nur in den nächsten Tagen ein großes Niesen und Husten geben im Berg. Wasser, kaltes Wasser und nasse Kleider sind wir schließlich gewohnt.«
Ich nestele mein Wams zu, schlüpfe in weiche, bequeme Stiefel, setze das schwarze Barett auf, greife nach dem Papier mit unserer Forderungsliste, küsse Maria zum Abschied, stopfe einen letzten Bissen Brot mit Käse in den Mund, haste die Treppe hinab und stehe wieder auf der Straße.
Die Fuggerbrüder waren noch vor Mitternacht, gewarnt durch Reisländer, nach Innsbruck geflohen. Soeben trifft die Nachricht ein, daß der Landtag zu Innsbruck eilig zusammengetreten ist, um das Bergunglück am Falkenstein wie die Unruhen in Schwaz und deren Ursachen zu beraten.
Die Herren Gänsbäuche und Weißkrägen zu Innsbruck wußten schon lange durch die Berichte des Bergmeisters an die Hofkammer, daß die Lage der Knappen mitsamt ihren Familien sich unaufhaltsam zum Schlechteren hin änderte. Sogar der landesfürstliche Faktor Zyprian Gotzner befürwortete jede Erleichterung für die Bergleute, forderte vornehmlich die Hofkammer auf, gänzlich auf die Abgabe des Frons zu verzichten.
Zudem wußten die Herren aus der Vergangenheit, daß es keinen Sinn machte, Beamte vom Regiment nach Schwaz zu senden, um dort verhandeln zu lassen. Schon vor 49 Jahren hatte sich der Erzherzog persönlich bemühen müssen.
Inzwischen sind etwa 1500 Knappen, teilweise gut bewaffnet, marschbereit. Auch an meiner linken Hüfte klirrt – ein bißchen ungewohnt – der Degen, freilich weniger als Waffe des Kampfes denn als Abzeichen meines Standes. Pater Conrad hatte mich zweifellos auch deshalb zum Sprecher des Knappenrates vorgeschlagen, da ich mit den Herren Hofbeamten von Gleich zu Gleich sprechen kann. Vor einem
Weitere Kostenlose Bücher