Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
dem Raber des Herrn Marx, das wirre Geschrei des Nandl Kunzmeier vor dem Totenhäusl ergeben eine fatale Mischung. Die Höhe der Summe schwankt, doch in der Verzweiflung ihrer bedrohten Existenz klammern sich Witwen und Mütter der Getöteten an diese Hoffnung.
Unsere Forderungen an den Erzherzog haben wir nach langem Hin und Her zusammengestellt und schriftlich niedergelegt. Es sind deren drei:
I. Allen Wucher, mit dem der Proviant sowie alle anderen Waren merklich und schwer belegt sind, aufzuheben, verbunden mit der Bitte, ein Einsehen zu haben und den Pfennwert abzuschaffen.
II. Zum anderen das Dreifache Scheidwerk nicht einzuführen, da die Knappen damit nicht überleben könnten.
III. Den Fron, jeden neunzehnten Kübel von ungeschmolzenem Erz für den Landesfürsten, auszusetzen.«
Hierzu kommt die Aufforderung an die Herren Fugger, den Familien der im Raber und Gapl umgekommenen Knappen eine Entschädigung zu zahlen.
Um die Höhe der Summe gibt es heftige Auseinandersetzungen. Dreißig Gulden erscheint uns schließlich angemessen – und durchsetzbar.
Mit gewisser Sorge sehe ich, daß eine Gruppe die Waffenkammer im Rathaus aufgebrochen, sich mit Schwertern, Hellebarden, Piken, Armbrüsten und sogar einigen Luntenbüchsen bewaffnet hat.
Und immer wieder bemerke ich diesen pockennarbigen Blonden, der auf dem Friedhof mitgehetzt, vor dem Fuggerhaus nach Brand und Feuer geschrien hatte. Er redet auf die Leute ein, spendiert Bier, Wein und Schnaps. Mir selber scheint er aus dem Weg zu gehen.
»Wer ist das?« frage ich einen der Umstehenden.
»Willi Davido aus Meran. Er ist Kupferhändler.«
Deshalb also ist er mir bekannt vorgekommen. Ich hatte ihn bei den Schmelzöfen gelegentlich gesehen.
Aber was, zum Teufel, hat er sich in die Angelegenheiten von Schwaz, in die Angelegenheiten der Berggemeinde zu mischen?
Dienstag,
der 27. April
Im Morgengrauen gelingt es mir, mich von den Gesprächen loszureißen. Im Laufschritt haste ich über die Lahnbachbrücke und durch die nahezu menschenleere Knappensiedlung zum Haus des Bergmeisters Reisländer.
Ich klopfe. Nichts. Ich klopfe nochmals:
»Heda! Ist niemand daheim?«
Endlich! Eine leise Frauenstimme:
»Seid Ihr das, Herr Dreyling?«
»Ja, ich bin’s.«
Ein Riegel klappert, die Tür öffnet sich:
»Kommt schnell herein.«
Ich trete ein.
Die Hand Giovanna Reisländers, einer schwarzhaarigen, südländischen Schönheit, zieht mich weiter in die vom Herdfeuer beleuchtete Küche. Sie ist totenblaß.
Auf dem Küchentisch liegt ein versiegeltes Papier und ein in Schweinsleder gebundenes Buch.
Frau Giovanna drückt mir beides in die Hand:
»Für Euch, Herr Dreyling.«
Ich erbreche das Siegel.
27. April Anno Domini 1574.
Mein junger Freund,
ich schreibe diese Zeilen im Hause Fugger.
Sofort bei meiner Ankunft ließ mich Herr Marx Fugger als Schuldigen an dem Bergunglück verhaften.
Ich werde ihn und Herrn Siegmund nach Innsbruck begleiten. Was weiter geschehen wird, ich weiß es nicht.
Wenn es mich den Kopf oder mein Amt kostet, so werdet Ihr wohl Bergmeister werden. Das beiliegende Buch mag Euch dabei eine Hilfe sein.
Gott schütze Euch.
Erasmus Reisländer.
Ich öffne das Buch:
G EORG A GRICOLA .
Z WÖLF B ÜCHER VOM B ERG - UND H ÜTTENWESEN .
A NNO D OMINI 1556
Wie betäubt laufe ich zurück. Nicht durch die belebten Straßen, wo ich wieder Dutzenden hätte Rede und Antwort stehen müssen, sondern hinter dem Friedhof herum.
Vor dem Fuggerhaus knirschen die Glassplitter unter meinen Stiefeln. Die Toten vor dem Tor sind fort, wohl von den Franziskanern zurück zum Totenhäusl getragen worden.
Die Tür unseres Hauses auf der anderen Seite des Platzes ist ebenfalls verschlossen und verriegelt.
Kreszenz, unsere alte Beschließerin, öffnet auf mein Klopfen.
Kaum im Flur, stürmt mir aus der großen Stube Frau Regina entgegen, zornrot, ein Pergament in der Rechten schwingend:
»Glaube bloß nicht, daß ihr damit durchkommt, du, Adam, und dein Bruder Ulrich! Ich werde es anfechten! Ich werde bis zum Hofgericht des Kaisers gehen, wenn es sein muß!«
»Was ist denn überhaupt los?« herrsche ich meine Stiefmutter an.
Langsam beginne ich die Geduld zu verlieren. Der bevorstehende Marsch nach Innsbruck – an Schlaf ist ohnehin nicht mehr zu denken. Ich will nur heraus aus meinem verdreckten, immer noch klammen Lederzeug.
»Der Notar Veit Anich hat diesen Wisch am Nachmittag überbringen lassen«, zetert Frau Regina.
Wortlos nehme
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