Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Adeligen, mag er noch so geringen Ranges sein, sind zumindest die juristischen Federfuchser eindeutig im Nachteil …
Der Marktplatz von Schwaz ist besetzt, alle Zufahrtsstraßen auf eine Meile Weges im Umkreis gesperrt, alle Reisenden an der Weiterfahrt gehindert. Die Erfahrung aus der Vergangenheit lehrt, daß seitens der Innsbrucker auf dieses Vorgehen allemal vernünftig reagiert wurde.
Keine Gewalt anzuwenden ist das oberste Gebot! Aber bereit, entschlossen und geschlossen unsere Rechte durchzufechten, die herrschende Not zu lindern!
Das Bergunglück ist nur der endgültige Auslöser für längst fällige Forderungen.
Um neun Uhr vormittags ist es dann soweit. Im Haufen ziehen wir in Richtung Hall.
Ein Ausschuß von 15 Knappen, der die Verhandlungen führen soll, und zu dessen Sprecher ich ernannt worden bin, marschiert an der Spitze der Kolonne. Der Fronbote Hans Peer gehört ebenso zum Ausschuß wie der ehrgeizige Schichtmeister Thomas Hasl samt seinem Jasager Martin Posch und, sehr zu meinem Unbehagen, der hitzköpfige Silberbrenner Ambros Mornauer.
Auf dem Weg schließen sich uns aus allen Dörfern und Weilern die Bauern an. Bewaffnet mit Sensen, Dreschflegeln, Mistgabeln und mit Kirchenfahnen bilden sie schon in kurzer Zeit einen eigenen Haufen.
Gegen elf Uhr geht eine Welle des Jubels durch die Kolonnen. Wir erfahren durch einen Postreiter, kurz vor Wattens, daß unser Erzherzog Ferdinand auf die Kunde hin, wir wären im Anzug, sich entschlossen hat, persönlich nach dem nahen Hall aufzubrechen.
Wir rücken in zwei Haufen an, Knappen und Bauern getrennt, treffen zur Mittagszeit in Hall ein und nehmen auf der Gemeindewiese, nahe der Stadt – mit 90 Mann in einem Glied – Aufstellung.
So stehen insgesamt gut 3000 Mann im Feld, halb Knappen, halb Bauern. Die Bauern sind aus Verbundenheit zu den Knappen mit aufgebrochen. Umgekehrt können die Bauern jederzeit mit der Unterstützung der Bergwerksleute rechnen.
In solchen Stunden spielt die Macht der Einzelgehöfte, Dörfer, Marktflecken mit der Berggemeinde wirksam zusammen. Doch heute, das ist unser Tag, unsere Sache. Die Einigkeit, das Schauspiel der Aufstellung ist unsere einzige wirklich wirksame Waffe, mit der wir unsere Forderungen durchsetzen können.
Der Knappenrat bildet eine einzelne Gruppe als der Erzherzog erscheint.
Eine der wichtigsten Beobachtungen, die ich mache, ist das Streben der erzherzoglichen Verhandlungsdelegation nach System und Ordnung, das ebenso unübersehbar ist wie die Begabung der führenden Hofschranzen, sogar im Freien Voraussetzungen für sachliche Gespräche zu schaffen. Woher das Mobiliar wie Tische, Stühle, ja sogar Teppiche kommen, wird wohl ihr amtliches Geheimnis bleiben.
Erzherzog Ferdinand selbst ist ein großer, schlanker Mann mit schmalem Gesicht, mit hängender Habsburger Unterlippe und schläfrigen Augen. Er fühlt sich sichtlich unwohl; hinter seinem blasierten Auftreten scheint mir eine tiefe Unsicherheit hervorzulugen.
»Fürstliche Durchlaucht«, beginne ich meine Ausführungen, »wir kommen nicht in Ungehorsam oder gar in aufrührerischer Absicht, sondern wir kommen, um unsere Empörung über die Mißstände kund zu tun, wobei wir von jeder Forderung ablassen, deren Rechtmäßigkeit widerlegbar ist.«
Bei der folgenden Darlegung unserer Forderungen und deren schleppender Verhandlung mit dem Erzherzog und seinen Hofbeamten bleibt unklar, ob die Zähigkeit, mit der sich die Gespräche dahinwälzen, Absicht ist oder vielmehr ein Zeichen von Hilflosigkeit, Unverständnis und Ratlosigkeit auf der anderen Seite. Wer von den Gänsbäuchen und Weißkragen hatte denn schon einmal im Bergwerk einen Tag gearbeitet, geschweige denn für den kargen Lohn versucht, die Mäuler in den Knappenhütten satt zu bekommen?
Mir scheint, daß Aufrichtigkeit in der vorgebrachten Sache, unsere genauen Kenntnisse über den Bergbau die Unerfahrenheit im Umgang mit den ausgefuchsten Juristen der erzherzoglich Innsbrucker Verwaltung mehr als ausgleicht.
Doch am späten Nachmittag zeichnet sich der Erfolg ab. Er kühlt die Gemüter, besonders bei jenen Männern in unseren Reihen, die sich von einem offenen Aufruhr mit Brand und Plünderung viel mehr versprochen haben. Der Zulauf derer, die sich davon hätten beeindrucken lassen und mitgelaufen wären, um gewalttätig zu werden, wäre auch in unserem Haufen nicht zu unterschätzen gewesen. Vor allem den Silberling habe ich im Verdacht, daß ihm ein Scheitern der
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