Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
Vom Netzwerk:
noch eine weitere, mit der Hinrichtung zusammenhängende Anordnung getroffen habe. Kaiphas verneigte sich höflich, wobei er die Hand zum Herzen führte, und blieb im Garten, indes Pilatus zum Balkon im Säulengang zurückkehrte. Dem wartenden Sekretär gebot er, den Legaten der Legion, den Tribunen der Kohorte, die beiden Mitglieder des Synedrion und schließlich den Kommandanten der Tempelwache, die auf der unteren Terrasse in einem runden Springbrunnenpavillon warteten, in den Garten zu bitten. Pilatus fügte hinzu, er werde auch gleich kommen, und begab sich ins Innere des Palastes.
    Während der Sekretär die Teilnehmer der Beratung zusammenrief, hatte der Prokurator in seinem durch dunkle Vorhänge vor der Sonne geschützten Zimmer einen Treff mit einem Mann, dessen Gesicht zur Hälfte von einer Kapuze verdeckt war, wiewohl die Sonnenstrahlen ihn hier nicht stören konnten. Der Treff war kurz. Der Prokurator raunte dem Mann ein paar Worte zu, worauf sich dieser entfernte. Durch den Säulengang gelangte Pilatus wieder in den Garten.
    Hier erklärte der Prokurator in Gegenwart der Herbestellten trocken und feierlich, er bestätige das Todesurteil gegen Jeschua Ha-Nozri, und befragte die Mitglieder des Synedrion offiziell, welchen der Verbrecher er am Leben lassen solle. Nachdem ihm War-Rawwan genannt worden war, sagte er "sehr gut", befahl dem Sekretär, dies zu protokollieren, und fügte, in der Hand die Schnalle pressend, die der Sekretär vom Sand aufgehoben hatte, feierlich hinzu: "Es ist Zeit!"
    Sogleich stiegen alle Anwesenden die breite Marmortreppe hinunter, eingerahmt von Rosenspalieren, die ein betäubendes Arom verströmten, stiegen immer tiefer hinab, auf das Tor in der Palastmauer zu, das auf den weiten, glattgepflasterten Platz führte, an dessen Ende die Säulen und Statuen der Jerschalai-mer Wettkampfarena ragten.
    Kaum hatte die Gruppe vom Garten her den Platz betreten und das ihn beherrschende umfängliche Steinpodest erstiegen, da blickte Pilatus mit verkniffenen Augen um sich und übersah die Situation. Der freie Raum, den er soeben durchschritten, das heißt der Raum zwischen der Palastmauer und dem Podest, war leer, doch dafür konnte Pilatus den Platz vor sich nicht sehen, denn die Menge hatte ihn verschlungen. Sie hätte auch das Podest und den freien Raum überflutet, wäre sie nicht linker Hand von einer dreifachen Reihe Sebaster Soldaten und rechts von einer ebensolchen Reihe Soldaten einer ituräischen Hilfskohorte daran gehindert worden.
    Pilatus erstieg also das Podest, preßte noch immer die überflüssige Schnalle in der Faust und kniff die Augen zu. Das tat er nicht, weil die Sonne ihn geblendet hätte. Nein, er wollte die Gruppe der Verurteilten nicht sehen, die, wie er wohl wußte, jetzt hinter ihm aufs Podest geführt wurde. Kaum war der weiße, purpurgefütterte Umhang hoch droben auf dem Fels am Ufer des Menschenmeeres erschienen, da schlug dem blicklosen Pilatus eine Lautwelle in die Ohren: "Haaa ..." Sie begann zaghaft irgendwo hinten bei der Rennbahn, schwoll dann donnergleich, hielt sich ein paar Augenblicke und flaute wieder ab. Sie haben mich gesehen, dachte der Prokurator. Die Welle erreichte den Tiefpunkt nicht und wuchs unerwartet wieder an, schwankte, wurde lauter als beim erstenmal, und auf dem Kamm der zweiten Welle brodelten wie Gischt auf einer Meereswoge Pfiffe und vereinzelte, das Dröhnen übergellende Frauenschreie. Man hat die Gefangenen aufs Podest geführt, dachte Pilatus, und die Schreie kommen von Frauen, die eingequetscht wurden, als die Menge vorwärts wogte. Er wartete einige Zeit, wohl wissend, daß keine Macht der Erde jetzt die Menge zum Schweigen gebracht hätte, ehe sie alles, was sich in ihr angesammelt, herausgestöhnt hatte und von selber verstummte.
    Als dieser Moment gekommen war, hob der Prokurator den rechten Arm, und der letzte Lärm verebbte. Da atmete Pilatus soviel heiße Luft wie möglich ein und schrie, daß seine brüchige Stimme weit über die Tausende von Köpfen hinwegschallte:
    "Im Namen des Kaisers und Imperators!"
    Da schlug ihm mehrere Male ein eiserner abgehackter Schrei in die Ohren. Die Kohorten hatten die Lanzen und Feldzeichen hochgehoben und schrien furchterweckend:
    "Es lebe der Kaiser!"
    Pilatus riß den Kopf hoch und stieß ihn der Sonne entgegen. Unter seinen Lidern loderte grünes Feuer und versengte ihm das Gehirn, und weit über die Menge hin flogen heiser die aramäischen Worte:
    "Die vier Verbrecher, die in

Weitere Kostenlose Bücher