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Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Jerschalaim wegen Mordes dingfest gemacht wurden, sind wegen Aufwiegelei und wegen Beleidigung von Gesetz und Glauben zur schmählichen Hinrichtung durch Hängen am Pfahl verurteilt. Die Hinrichtung wird ohne Aufschub auf dem Schädelberg vollzogen! Die Namen der Verbrecher sind Dismas, Gestas, War-Rawwan und Ha-Nozri. Da stehen sie vor euch!"
    Pilatus wies mit der Hand nach rechts; er sah die Verbrecher nicht, wußte aber, daß sie standen, wo sie zu stehen hatten. Die Menge antwortete mit einem langen Gemurmel der Verwunderung oder Erleichterung. Als es verstummte, fuhr Pilatus fort:
    "Gerichtet aber werden nur drei von ihnen, denn nach Gesetz und Sitte schenkt der großmütige Kaiser und Imperator zu Ehren des Pessachfestes einem der Verurteilten, ausgewählt vom Kleinen Synedrion und bestätigt von der römischen Macht, sein verachtungswürdiges Leben!"
    Pilatus schrie diese Worte hinaus und hörte, wie an Stelle des Gemurmels tiefe Stille trat. Es drang nunmehr kein Seufzer, kein Rascheln an seine Ohren, und einen Moment lang dünkte es ihn gar, daß alles ringsum verschwunden wäre. Die ihm verhaßte Stadt wäre gestorben, und nur er allein stünde da, versengt von den senkrechten Sonnenstrahlen, das Gesicht dem Himmel zugewandt. Ein Weilchen noch zog er die Stille in die Länge, dann schrie er: "Der Name dessen, der jetzt vor aller Augen freigelassen wird, ist..."
    Er machte noch eine Pause, zögerte, den Namen zu nennen, und überlegte, ob er alles gesagt hatte, denn er wußte, die tote Stadt würde, kaum hatte er den Namen des Glücklichen genannt, zu neuem Leben erwachen und alle weiteren Worte überschreien.
    "War das alles?" flüsterte Pilatus lautlos vor sich hin. "Es war alles. Den Namen!"
    Das R über die schweigende Stadt hin rollend, schrie er: "War- Rawwan!"
    Da dünkte ihn, daß die Sonne über ihm dröhnend bärste und ihm Feuer in die Ohren gösse. In diesem Feuer tobte Brüllen, Kreischen, Stöhnen, Lachen und Pfeifen.
    Pilatus drehte sich um und ging über das Podest zurück zu den Stufen, nichts anderes beachtend als das bunte Schachbrettmuster zu seinen Füßen, um nicht fehlzutreten. Er wußte, daß jetzt hinter seinem Rücken ein Hagel von Datteln und Bronzemünzen aufs Podest niederprasselte und daß in der brüllenden Menge die Menschen einander quetschten und auf die Schultern stiegen, um mit eigenen Augen das Wunder zu schauen, wie ein Mensch den Fängen des Todes entrissen wurde, wie die Legionäre ihm die Fesseln lösten und ihm dabei ungewollt brennenden Schmerz an den beim Vefhör verrenkten Handgelenken zufügten, wie er ächzend das Gesicht verzerrte und doch ein sinnloses, irres Lächeln zeigte.
    Pilatus war gewiß, daß die Eskorte schon die drei Verbrecher mit gebundenen Händen zur Seitentreppe führte, um sie auf die Straße nach Westen, aus der Stadt hinaus, zum Schädelberg zu bringen. Erst nachdem er das Podest verlassen hatte und sich hinter ihm befand, öffnete er die Augen, denn er wußte sich nunmehr in Sicherheit — er würde die Verurteilten nicht mehr sehen.
    In das Stöhnen der verstummten Menge mischten sieb deutlich unterscheidbar die gellenden Schreie der Ausrufer, die teils in aramäischer, teils in griechischer Sprache wiederholten, was der Prokurator vom Podest herab verkündet hatte. Überdies vernahm Pilatus näher kommendes Hufgetrappel und ein kurzes vergnügtes Hornsignal. Diesem antworteten durchdringende Pfiffe der Jungs von den Hausdächern in der Straße, die vom Basar zur Rennbahn führte, und laute Rufe: "Aufgepaßt!"
    Der Soldat, der einsam im frei gehaltenen Raum des Platzes stand, schwenkte sein Feldzeichen, und der Prokurator, der Legat der Legion, der Sekretär und die Eskorte verharrten. Die Reiterala kam in immer rascherem Trab auf den Platz, um ihn seitlich zu überqueren, passierte die Volksmenge und ritt auf eine schmale Seitenstraße unterhalb der weinumrankten Mauer zu, um auf kürzestem Weg zum Schädelberg zu sprengen.
    Als der Kommandant der Ala, ein Syrer, klein wie ein Knabe und dunkel wie ein Mulatte, mit Pilatus auf gleicher Höhe war, rief er mit heller Stimme etwas und riß das Schwert aus der Scheide. Sein böser, schweißnasser Rappe prallte jäh zur Seite und bäumte sich auf. Der Kommandant stieß das Schwert in die Scheide zurück, schlug dem Pferd die Peitsche über den Hals, richtete es aus und sprengte im Galopp in die Seitenstraße hinein. Hinter ihm ritten zu dreien seine Soldaten, in eine Staubwolke gehüllt; die

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