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Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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redest du, Hoherpriester! Wer sollte uns hier hören? Gleiche ich etwa dem gottesnärrischen jungen Landstreicher, der heute hingerichtet wird? Bin ich ein Knabe, Kaiphas? Ich weiß, was ich sage und wo ich es sage. Der Garten ist sorgfaltig bewacht, der Palast ebenso, und nicht mal eine Maus könnte hereinschlüpfen. Auch dieser Mann könnte es nicht, wie heißt er doch, aus der Stadt Kirjath. Übrigens, kennst du ihn, Hoherpriester? Wenn so einer hier eindränge, er würde sich selber bitterlich bedauern, das glaubst du mir doch? So wisse denn, Hoherpriester, daß du fortan keine Ruhe mehr haben wirst! Du nicht und auch dein Volk nicht." Pilatus wies nach rechts in die Ferne, wo hoch droben der Tempel leuchtete. "Das sage ich dir, ich, Pontius Pilatus, Ritter der Goldenen Lanze!" "Ich weiß es wohl!" antwortete der schwarzbärtige Kaiphas furchtlos, seine Augen funkelten, er streckte die Hand gen Himmel und fuhr fort: "Das Volk von Judäa weiß, daß du es mit grimmem Haß verfolgst und ihm noch viele Qualen zufügen wirst, aber verderben kannst du es nicht! Gott wird es behüten! Er wird uns hören, und auch der allmächtige Kaiser wird uns hören und uns schützen vor dem Verderber Pilatus!" "O nein!" rief Pilatus aus, und mit jedem Wort wurde ihm leichter, denn jetzt brauchte er nicht mehr sich zu verstellen, nicht mehr die Worte zu wählen. "Gar zu oft hast du dich beim Kaiser über mich beklagt, Kaiphas, doch jetzt ist meine Stunde gekommen! Jetzt geht von mir eine Botschaft ab, aber nicht an den Gouverneur von Antiochia und nicht nach Rom, sondern gleich nach Capri an den Imperator, die Botschaft, daß ihr notorische Meuterer in Jerschalaim der Todesstrafe entzieht. Nicht Wasser aus dem Salomonsteich wird dann fließen in Jerschalaim, wie ich es vorhatte zu eurem Nutzen, nein, nicht Wasser! Vergiß nicht, daß ich euretwegen die Schilde mit dem kaiserlichen Emblem von der Wand nehmen, Truppen verlegen und selber herkommen mußte, um hier bei euch nach dem Rechten zu sehen! Merke dir mein Wort, Hoherpriester! Du wirst hier in Jerschalaim nicht nur eine Kohorte erblicken, nein! Die ganze Donnerlegion wird vor die Stadtmauer rücken, arabische Reiterei wird kommen, bitteres Weinen und Wehklagen wirst du hören! Dann wirst du an den geretteten War-Rawwan denken und bereuen, daß du den Philosophen mit seiner friedlichen Predigt in den Tod geschickt hast."
    Das Gesicht des Hohenpriesters wurde fleckig, seine Augen brannten. Wie der Prokurator lächelte er mit gefletschten Zähnen und antwortete:
    "Glaubst du, Prokurator, selber an das, was du sagst? Nein, du glaubst nicht daran! Nicht Frieden, nein, nicht Frieden hat uns der Volksverführer nach Jerschalaim gebracht, und du, Ritter, weißt das ganz genau. Du wolltest ja Jeschua nur deshalb freilassen, damit er das Volk aufwiegele, den Glauben schmähe und das Volk unter die römischen Schwerter führe! Ich aber, der Hohepriester von Judäa, werde zeitlebens den Glauben' und das Volk schützen! Hörst du, Pilatus?" Kaiphas hob drohend die Hand: "Höre genau hin, Prokurator!"
    Kaiphas verstummte, und der Prokurator hörte wieder das Meeresrauschen gegen die Mauern des Herodes-Palastes anbran-den. Es stieg von unten zu den Füßen und bis zum Gesicht des Prokurators hinan. Hinter ihm aber, wo die Seitenflügel des Palastes lagen, erschollen alarmierende Hornsignale, das schwere Trappeln Hunderter von Füßen und eisernes Geklirr. Der Prokurator wußte, daß die römischen Fußtruppen seinem Befehl gemäß bereits ausrückten und der für Meuterer und Verbrecher so schrecklichen Todesparade zustrebten.
    "Hörst du, Prokurator?" wiederholte der Hohepriester leise. "Du wirst mir doch nicht sagen wollen, all das da" — der Hohepriester hob beide Arme, und die dunkle Kapuze glitt von seinem Kopf — "habe der elende Verbrecher War-Rawwan auf die Beine bringen können?"
    Mit dem Handrücken wischte der Prokurator den kalten Schweiß von der Stirn. Er blickte zu Boden, dann blinzelte er in den Himmel, sah die glühende Kugel fast über seinem Haupte stehen und den Schatten des Kaiphas geduckt neben dem Löwenschweif liegen und sagte leise und gleichmütig: "Es geht auf Mittag. Wir haben uns festgeplaudert, dabei müssen wir die Sache weiterführen."
    Nachdem er sich in gewählten Ausdrücken beim Hohenpriester entschuldigt hatte, bat er ihn, auf einer Bank im Schatten eines Magnolienbaums zu warten, bis er die übrigen Personen zur letzten kurzen Beratung hergebeten und

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