Der Meister und Margarita
in jedem Fenster einen Atheisten zu entdecken.
Nein, er ist kein Engländer, dachte Berlioz, und Besdomny dachte: Ich möchte bloß wissen, wo er sein Russisch herhat!, dann runzelte "er wieder die Stirn.
"Aber gestatten Sie mir eine Frage", sagte der Fremde nach besorgtem Grübeln, "wie steht es denn nun mit den Beweisen für die Existenz Gottes, von denen es bekanntlich fünf gibt?" "Ach herrje!" antwortete Berlioz bedauernd. "Diese Beweise sind allesamt nichts wert, und die Menschheit hat sie längst zu den Akten gelegt. Sie werden doch zugeben, daß es im Bereich der Vernunft einen Beweis für die Existenz Gottes gar nicht geben kann."
"Bravo!" rief der Ausländer. "Bravo! Sie wiederholen da genau den Gedanken des rastlosen alten Immanuel zu diesem Problem. Eines jedoch ist kurios: Er hat alle fünf Gottesbeweise restlos zerschlagen, hat aber dann, als ob er sich selbst verspotten wollte, einen eigenen sechsten Gottesbeweis aufgestellt." "Kants Gottesbeweis", entgegnete der gebildete Redakteur mit feinem Lächeln, "ist ebenfalls nicht zwingend. Nicht umsonst sagte Schiller, Kants Schlußfolgerungen zu dieser Frage könnten allenfalls Sklaven zufriedenstellen, und Strauß hat sich über den Beweis nur amüsiert." Während Berlioz sprach, überlegte er:
Was mag er eigentlich sein? Und woher kann er so gut Russisch?
"Für solche Beweise müßte man den Kant drei Jahre nach So-lowki verbannen!" stieß Besdomny überraschend hervor. "Aber Iwan!" flüsterte Berlioz verlegen.
Doch der Vorschlag, Kant nach Solowki zu schicken, hatte den Ausländer keineswegs befremdet, sondern förmlich entzückt. "Genau, genau!" schrie er, und sein auf Berlioz gerichtetes grünes linkes Auge funkelte. "Da gehört er hin! Ich hab ihm damals beim Frühstück gesagt: ,Ich kann mir nicht helfen, aber Sie haben sich da was Ungereimtes ausgedacht, Professor. Es mag ja gescheit sein, ist aber völlig unverständlich. Man wird sich über Sie lustig machen.'"
Berlioz quollen die Augen aus dem Kopf. Beim Frühstück? Kant? Was faselt er da? dachte er.
"Aber", fuhr der Fremdling fort, ohne sich durch Berlioz' Verblüffung beirren zu lassen, und wandte sich dem Lyriker zu, "ihm nach Solowki zu verbannen ist ganz unmöglich, aus dem einfachen Grunde, weil er schon etwas über hundert Jahre in einer Gegend weilt, die bedeutend weiter entfernt ist als Solowki und aus der man ihn, ich versichere es Ihnen, unmöglich zurückholen kann."
"Schade!" rüpelte der Lyriker.
"finde ich auch", versetzte der Unbekannte, funkelte ihn an und fuhr fort: "Aber jetzt beschäftigt mich eine Frage: Wenn es keinen Gott gibt, wer lenkt dann eigentlich das menschliche Leben und überhaupt den ganzen Ablauf auf der Erde?" "Der Mensch selber", beeilte sich Besdomny ärgerlich diese nicht eben sehr klare Frage zu beantworten. ,, Entschuldigung", antwortete der Unbekannte sanft, "um das alles zu lenken, bedarf es schließlich eines genauen Planes für einen halbwegs angemessenen Zeitraum. Gestatten Sie zu fragen, wie soll ein Mensch das alles lenken, wenn er nicht nur der Möglichkeit ermangelt, einen Plan selbst für eine so lächerliche Frist von, sagen wir, tausend Jahren aufzustellen, sondern auch nicht einmal sicher sein kann, was ihm selber der morgige Tag bringt? Wirklich" — der Unbekannte wandte sich Berlioz zu —, "stellen Sie sich vor, Sie zum Beispiel fangen nun an, sich und andere zu lenken und Anordnungen zu treffen, Sie kommen sozusagen auf den Geschmack, und plötzlich kriegen Sie... kch... kch ... ein Lungensarkom . .." Der Ausländer schmunzelte genüßlich, als bereite ihm der Gedanke an das Lungensarkom Vergnügen, ,ja, ein Lungensarkom", wiederholte er, wie ein Kater blinzelnd, das klangvolle Wort, "und schon ist es aus mit Ihrer Lenkerei! Kein fremdes Schicksal interessiert Sie mehr, nur noch Ihr eigenes. Ihre Angehörigen fangen an, Sie zu belügen. Sie wittern Unrat, laufen zu gelehrten Ärzten, dann zu Kurpfuschern und vielleicht auch zu Wahrsagerinnen. Wie das erste und zweite, so ist auch das dritte völlig sinnlos, das wissen Sie selber. Das Ganze endet tragisch: Der Mann, der noch vor kurzem etwas zu lenken wähnte, liegt plötzlich starr und steif in einer Holzkiste, und seine Umgebung, wohl wissend, daß nichts Vernünftiges mehr von ihm zu erwarten ist, verbrennt ihn im Ofen. Manchmal kommt es noch schlimmer: Jemand hat sich gerade erst vorgenommen, nach Kislowodsk zu fahren." Der Ausländer starrte Berlioz mit schmalen Augen an.
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