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Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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leichtsinnige Lichodejew waren in der Wohnung. Die Kommission eröffnete Nikanor Iwanowitsch, die Manuskripte des Verstorbenen würden zwecks Sichtung abgeholt werden, sein Wohnraum, das heißt drei Zimmer (ehedem Arbeitszimmer, Salon und Eßzimmer der Juwelierswitwe), stünden der Hausgemeinschaft zur Verfügung, doch die Sachen hätten in der erwähnten Wohnung zu verbleiben, bis die Erben ermittelt seien.
    Die Nachricht vom Tode Berlioz' verbreitete sich mit Windeseile im ganzen Hause, und am Donnerstag schrillte seit sieben Uhr früh bei Nikanor Iwanowitsch das Telefon. Dann kamen Leute und brachten schriftliche Erklärungen, in denen Ansprüche auf den Wohnraum des Verblichenen geltend gemacht wurden. Binnen zwei Stunden nahm Nikanor Iwanowitsch zweiunddreißig Stück entgegen.
    Die Erklärungen enthielten Bitten, Drohungen, Verleumdungen und Denunziationen, ferner das Versprechen, auf eigene Kosten renovieren zu lassen, Hinweise auf unerträgliche Beengtheit und darauf, daß es unmöglich sei, mit Banditen in einer Wohnung zu hausen. Unter anderem gab es da die durch ihre künstlerische Kraft erschütternde Schilderung eines Raubes von Fleischpastetchen, die in der Wohnung Nr. 31 in einer Jackentasche verschwunden seien, zwei Ankündigungen, das Leben durch Selbstmord zu beenden, und ein Geständnis heimlicher Schwangerschaft.
    Nikanor Iwanowitsch wurde in die Diele seiner Behausung gebeten, man nahm ihn beim Ärmel, flüsterte, zwinkerte und versprach, sich erkenntlich zu zeigen.
    Diese Tortur währte bis kurz nach zwölf, dann entwich Nika-nor Iwanowitsch in den Verwaltungsraum neben der Haustür, doch als er sich auch hier belagert sah, ergriff er abermals die Flucht. Nachdem er seine Verfolger auf dem asphaltierten Hof mit knapper Not abgeschüttelt hatte, entkam er in den sechsten Aufgang und stieg hinauf zum vierten Stock, in dem die verdammte Wohnung Nr. 50 lag.
    Der füllige Nikanor Iwanowitsch verschnaufte auf dem Treppenabsatz, dann läutete er, doch niemand öffnete. Er läutete nochmals und nochmals und knurrte leise Flüche vor sich hin. Aber auch jetzt wurde nicht geöffnet. Da riß ihm die Geduld, er holte den Bund Zweitschlüssel aus der Tasche, die der Hausverwaltung gehörten, schloß mit behördlicher Hand die Tür auf und trat ein.
    "He, Hausmädchen!" schrie er in der halbdunklen Diele. "Wie heißt du gleich, Grunja, was? Bist du nicht da?" Keine Antwort.
    Da löste Nikanor Iwanowitsch das Siegel von der Tür des Arbeitszimmers, entnahm seiner Aktentasche einen Zollstock und trat ein.
    Ein trat er, doch schon auf der Schwelle blieb er überrascht stehen und zuckte sogar zusammen.
    Am Tisch des Toten saß ein langer, magerer Mann mit kariertem Jäckchen, Jockeimütze und Zwicker, kurzum, der Bewußte. "Wer sind Sie denn, Bürger?" fragte Nikanor Iwanowitsch erschrocken.
    "Ei, Nikanor Iwanowitsch!" brüllte der Mann mit klirrendem Tenor, sprang auf und quetschte dem überrumpelten Vorsitzenden die Hand. Die Begrüßung bereitete Nikanor Iwanowitsch jedoch keine Freude.
    "Entschuldigung", sagte er argwöhnisch, "wer sind Sie? Eine offizielle Person?"
    "Aber, aber, Nikanor Iwanowitsch!" rief der Unbekannte herzlich. "Was ist denn eine offizielle oder inoffizielle Person? Das kommt doch ganz drauf an, von welchem Gesichtspunkt man die Sache betrachtet. Das sind doch fließende und relative Begriffe, Nikanor Iwanowitsch. Heute bin ich eine inoffizielle Person und morgen —>bums! — eine offizielle! Es kann auch umgekehrt sein, und wie!"
    Diese Erörterung stellte jedoch den Vorsitzenden der Hausverwaltung in keiner Weise zufrieden. Von Natur mißtrauisch, folgerte er, der Schwadroneur vor ihm sei eine inoffizielle und wohl auch unbefugte Person.
    "Wer sind Sie? Wie ist Ihr Name?" fragte er immer strenger und machte Miene, auf den Unbekannten einzudringen. "Mein Name", antwortete der Mann, den solche Strenge nicht die Spur beirrte, "ist, na sagen wir, Körowjew. Aber wollen Sie nicht etwas zu sich nehmen, Nikanor Iwanowitsch? Ganz ohne Umstände, na?"
    "Nein, danke", sagte Nikanor Iwanowitsch schon sehr empört, "was soll das jetzt?" (Es sei, wenn auch ungern, zugegeben, daß Nikanor Iwanowitsch von Natur ein bißchen ungehobelt war.) "In den Räumen des Verstorbenen dürfen Sie sich nicht aufhalten! Was machen Sie hier?"
    "Aber so setzen Sie sich doch, Nikanor Iwanowitsch!" brüllte der Mann, nicht im geringsten verlegen, scharwenzelte um den Vorsitzenden herum und diente ihm einen Sessel an.

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