Der Meister und Margarita
durch diese Pforte, aber Herzklopfen hatte ich bis dahin ungelogen mindestens zehnmal. Wenn ihre Stunde heran war und der Zeiger auf Mittag stand, hörte das Herzklopfen gar nicht mehr auf, bis ihre Schuhe mit den schwarzen Wildlederschleifen und Stahlschnallen fast geräuschlos vor dem Fenster waren.
Manchmal neckte sie mich, blieb vor dem zweiten Fenster stehen und pochte mit dem Schuh an die Scheibe. Ich war dann im selben Moment an diesem Fenster, doch der Schuh verschwand, die schwarze Seide, die das Licht wegnahm, auch, und ich ging ihr öffnen.
Niemand wußte von unserer Bindung, das versichere ich Ihnen, obwohl so was sonst nie vorkommt. Ihr Mann wußte nichts, ihre Bekannten wußten nichts. In der uralten kleinen Villa, deren Keller ich bewohnte, bemerkte man natürlich, daß mich öfters eine Frau besuchte, doch ihren Namen kannte niemand." "Wer ist sie denn?" fragte Iwan, den diese Liebesgeschichte ungemein fesselte.
Der Gast bedeutete ihm mit einer Geste, daß er dies keinem Menschen sagen werde, und setzte seine Erzählung fort. Iwan vernahm, daß der Meister und die Unbekannte einander so liebgewannen, daß sie unzertrennlich wurden. Deutlich sah er die beiden Zimmer im Keller der Villa vor sich, in denen die Fliederbüsche und der Zaun ein ewiges Dämmerlicht schufen. Abgeschabte Mahagonimöbel, ein Schreibschrank, darauf eine Uhr, die alle halbe Stunde schlug, und Bücher, Bücher vom gestrichenen Fußboden bis zur verräucherten Decke, und ein Ofen.
Iwan erfuhr, daß sein Gast und dessen heimliche Frau schon in den ersten Tagen ihres Zusammenseins zu dem Schluß gelangten, das Schicksal selbst habe sie an der Ecke der Twerskaja zueinander geführt und sie seien in alle Ewigkeit füreinander bestimmt.
Iwan erfuhr, wie die Liebenden den Tag verbrachten. Wenn sie kam, band sie sich als erstes eine Schürze um, zündete in der schmalen Diele mit dem Ausguß, auf den der arme Kranke so stolz war, die Petroleumlampe auf dem Holztisch an, bereitete das Frühstück und deckte dann im ersten Zimmer den ovalen Tisch. Als die Maigewitter einsetzten und vor den blinden Fensterscheiben das Wasser zur Pforte rauschte und ihre letzte Zuflucht zu überschwemmen drohte, heizten die Liebenden den Ofen und buken darin Kartoffeln. Dampf stieg auf, die verkohlten Schalen schwärzten die Finger. Im Keller ertönte Gelächter, die Bäume im Garten streuten nach dem Regen abgebrochene Zweige und weiße Blütentrauben nieder. Als die Gewitter aufhörten und der schwüle Sommer anbrach, standen in der Vase die lang ersehnten Rosen, die beide sehr liebten. Der Mann, der sich Meister nannte, arbeitete, und sie las, die schlanken Finger mit den spitzgefeilten Nägeln im Haar vergraben, immer wieder das Geschriebene, und nachdem sie es gelesen, nähte sie an dem schwarzen Mützchen. Manchmal hockte sie vor den unteren Regalbrettern oder stand auf einem Stuhl vor den oberen und säÜberte mit einem Lappen Hunderte verstaubter Bücherrücken. Sie verhieß ihm, er werde berühmt werden, spornte ihn vorwärts und fing eines Tages an, ihn Meister zu nennen. Ungeduldig wartete sie auf die versprochenen letzten Worte über den grausamen fünften Prokurator von Judäa, wiederholte mit lauter, singender Stimme einzelne Sätze, die ihr gefielen, und sagte, daß in diesem Roman ihr Leben sei. Im August wurde das Werk vollendet und einem unbekannten Tippfräulein gegeben, das es in fünf Exemplaren abschrieb. Endlich kam die Stunde, in der es galt, das Versteck zu verlassen und ins Leben zu treten.
"Und ich trat ins Leben, den Roman in der Hand, und damit hörte mein Leben auf", flüsterte der Meister und ließ den Kopf hängen, und lange schwankte das schwarze Mützchen mit dem gelben M. Dann setzte er seine Erzählung fort, aber sie geriet ein wenig zusammenhanglos, und es war nur zu entnehmen, daß ihm damals eine Katastrophe geschah.
"Ich kam zum erstenmal in die Welt der Literatur, und selbst jetzt, wo schon alles zu Ende ist und ich den Tod vor mir sehe, denke ich noch mit Entsetzen daran!" flüsterte der Meister feierlich und hob die Hand. ,Ja, er hat mich sehr verletzt, ach, wie er mich verletzt hat!"
"Wer denn?" flüsterte Iwan kaum hörbar, denn er fürchtete, seinen erregten Gast zu unterbrechen.
"Der Redakteur, ich sag's doch, der Redakteur! Ja, er hatte ihn gelesen. Er sah mich an, als wäre mein Gesicht von einer Geschwulst entstellt, schielte zur Seite und kicherte sogar verlegen. Grundlos befingerte er das Manuskript
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