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Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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eine Gasse ein und drehte sich um. Sie kennen doch die Twerskaja?
    Auf der Twerskaja waren Tausende von Menschen unterwegs, aber ich schwöre"lhnen, sie sah nur mich, und ihr Blick war irgendwie krankhaft. Mich beeindruckte nicht so sehr ihre Schönheit wie die ungewöhnliche Einsamkeit in ihren Augen, eine nie gesehene Einsamkeit! Ich folgte dem gelben Zeichen, bog ebenfalls in die Gasse ein und ging der Frau nach. Schweigend liefen wir durch die trostlose krumme Gasse, ich auf der einen Seite, sie auf der andern. Und stellen Sie sich vor, in der Gasse war keine Menschenseele. Es war qualvoll für mich, denn mir schien, ich müsse mit ihr reden, aber ich fürchtete, ich würde kein Wort herausbringen und sie würde weggehen und ich würde sie nie widersehen. Und stellen Sie sich vor, plötzlich sprach sie:
    ,Gefallen Ihnen meine Blumen?' Ich erinnere mich genau, wie ihre Stimme klang, ziemlich tief, aber brüchig, und es mag dumm sein, doch mir war, als ob sich ihr Echo in der Gasse an der schmutziggelben Wand brach. Rasch ging ich zu ihr hinüber und antwortete: ,Nein.' Sie blickte mich verwundert an, und plötzlich, völlig unerwartet, wurde mir bewußt, daß ich gerade diese Frau schon mein Leben lang geliebt hatte! Erstaunlich, was? Sie werden natürlich sagen, ich sei verrückt."
    "Gar nichts sag ich", rief Iwan und fügte hinzu: "Ich flehe Sie an, erzählen Sie weiter!" Der Gast fuhr fort:
    ,Ja, sie blickte mich verwundert an, dann fragte sie: ,Mögen Sie überhaupt keine Blumen?' Ich hatte den Eindruck, daß ihre Stimme feindselig klang. Ich ging neben ihr her, bemühte mich, gleichen Schritt zu halten, und spürte zu meiner eigenen Verwunderung keinerlei Schüchternheit.
    ,Doch, ich mag Blumen, nur diese nicht', sagte ich. ,Welche denn?' ,Rosen liebe ich.' Doch sofort bedauerte ich, dies gesagt zu haben, denn sie lächelte schuldbewußt und warf den Strauß in die Gosse. Ich war ein bißchen verwirrt, hob ihn wieder auf und gab ihn ihr, doch sie stieß die Blumen lächelnd zurück, und da behielt ich sie in der Hand.
    Eine Zeitlang gingen wir schweigend, dann nahm sie mir die Blumen aus der Hand, warf sie zu Boden und schob ihre Hand im schwarzen Stulpenhandschuh unter meinen Arm." • "Weiter", sagte Iwan, "und lassen Sie bitte nichts-aus!" "Weiter?" fragte der Gast. "Nun, das Weitere können Sie sich denken." Er wischte mit dem rechten Ärmel eine Träne weg und fuhr fort: "Die Liebe sprang vor uns auf, wie ein Mörder in einer Gasse von der Erde aufspringt, und traf uns beide. So schlägt ein Blitz ein, so stößt ein Finnenmesser zu! Sie pflegte übrigens später zu sagen, so sei es nicht gewesen, wir hätten einander schon seit langem geliebt, ohne uns zu kennen, ohne uns je gesehen zu haben. Sie lebte damals mit einem andern Mann ... Und ich auch, damals ... mit dieser, wie hieß sie doch ..." "Mit wem denn?" fragte Besdomny.
    "Mit dieser, na ... mit dieser ... na ..." Der Gast schnippte mit den Fingern.
    "Sie waren verheiratet?"
    ,Ja doch, deshalb schnippe ich ja ... Mit dieser .. . Warenka . .. Manetschka ... nein, Warenka ... das gestreifte Kleid, im Museum ... Nein, ich komm nicht drauf.
    Also, sie gestand, sie sei an jenem Tag mit den gelben Blumen in der Hand losgegangen, damit ich sie endlich fände, und wenn sich nichts ereignet hätte, würde sie Gift genommen haben, da ihr Leben leer sei.
    Ja, die Liebe ergriff sofort Besitz von uns. Ich wußte es schon nach einer Stunde, als wir, ohne etwas von der Stadt zu sehen, am Moskwa-Kai vor der Kremlmauer ankamen. Wir unterhielten uns, als hätten wir uns am Abend zuvor getrennt und kennten uns schon viele Jahre. Am nächsten Tag trafen wir uns wieder am Moskwa-Kai. Die Maisonne schien auf uns herab. Bald, sehr bald wurde sie meine heimliche Frau. Jeden Tag kam sie zu mir, und ich wartete schon vom frühen Morgen an auf sie. Das drückte sich darin aus, daß ich die Gegenstände auf dem Tisch hin und her rückte. Zehn Minuten vorher setzte ich mich ans Fenster und horchte, ob die wacklige Pforte nicht klappte. Und merkwürdig: Vor meiner Begegnung mit ihr kam kaum jemand auf unsern Hof, vielleicht sogar niemand, doch jetzt schien mir, daß die ganze Stadt herpilgerte. Die Pforte klappte, das Herz klopfte, und stellen Sie sich vor, in Höhe meiner Augen waren ständig schmutzige Stiefel vor meinem Fenster. Ein Scherenschleifer. Wer in unserem Haus brauchte einen Scherenschleifer? Was sollte der schleifen? Was für Scheren?
    Sie kam täglich nur einmal

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