Der Meister und Margarita
stellen Sie sich vor, ich habe doch eigentlich gar keinen Hang, unter Menschen zu gehen, und wenn ich mit Menschen zusammenkomme, dann verfolgt mich diese verdammte merkwürdige Eigenschaft, daß ich zu ihnen schwerfällig und mißtrauisch bin. Und denken Sie nur, bei solchen Gelegenheiten dringt jedesmal einer in meine Seele ein, unvorhergesehen, unerwartet, äußerlich weiß der Teufel wem ähnlich, und gefällt mir besser als alle anderen. Es war in jener verfluchten Zeit, da ging an einem freundlichen Herbsttag unser Gartenpförtchen auf. Sie war nicht zu Hause. Ein Mann kam herein und ging in irgendeiner Angelegenheit ins Haus zu meinem BaÜberechtigten. Hinterher kam er in den Garten und schloß irgendwie sehr schnell Bekanntschaft mit mir. Als Journalist stellte er sich vor. Er gefiel mir so sehr, daß ich mich jetzt noch manchmal an ihn erinnere, denken Sie nur, und ihn sogar vermisse. Von da an besuchte er mich öfters. Ich erfuhr, daß er Junggeselle war und nebenan in genauso einer kleinen Wohnung lebte, die ihm jedoch zu eng war, und so weiter. Zu sich lud er mich nie ein. Meiner Frau mißfiel er außerordentlich. Aber ich nahm ihn in Schutz.
,Tu, was du willst', sagte sie. Aber glaube mir, der Mann macht auf mich einen abstoßenden Eindruck.' Ich lachte. Aber was an ihm zog mich eigentlich an? Der Mensch an sich birgt doch keine Überraschungen in seinem Innern, in seinem Schubkasten, er ist uninteressant. Aloisi (ja, ich vergaß zu sagen, daß mein neuer Bekannter Aloisi Mogarytsch hieß) hatte eine Überraschung in seinem Schubkasten. Ich habe vor ihm nie einen Menschen gesehen — werde bestimmt auch nie einen sehen —, der soviel Köpfchen besäße wie Aloisi. Wenn ich den Sinn einer Zeitungsnotiz nicht begriff, setzte Aloisi ihn mir im Handumdrehen auseinander, und ich merkte ihm an, daß ihn das keinerlei Mühe kostete. Ebenso war es bei Erscheinungen und Fragen des Lebens. Aber damit nicht genug. Aloisi verblüffte mich durch seine Leidenschaft über die Literatur. Er gab keine Ruhe, bis er mich so weit hatte, daß ich ihn meinen Roman von Deckel zu Deckel lesen ließ, und äußerte sich dann sehr schmeichelhaft, sagte mir aber mit erschütternder Genauigkeit, als wäre er dabeigewesen, welche Bemerkungen der Redakteur im einzelnen zu dem Roman gemacht hatte. Hundertmal von hundert möglichen traf er ins Schwarze. Außerdem erklärte er mir ganz genau, und ich dachte mir, daß er auch diesmal nicht irrte, warum mein Roman nicht gedruckt werden konnte. Er sagte direkt: Kapitel soundso kommt nicht durch ... Die Artikel nahmen kein Ende. Über die ersten hatte ich noch gelacht. Aber je mehr davon erschienen, desto mehr änderte sich meine Einstellung zu ihnen. Das zweite Stadium war das Stadium der Verwunderung. Etwas durch und durch Falsches und Unsicheres war buchstäblich aus jeder Zeile dieser Artikel zu spüren, trotz ihres überzeugten und drohenden Tons. Ich hatte dauernd das Gefühl, und davon kam ich nicht los, daß die yerfasser dieser Artikel nicht das sagten, was sie sagen wollten, und daß gerade dies sie in Wut versetzte. Und dann, wissen Sie, kam das dritte Stadium — die Angst. Nein, ich hatte keine Angst vor den Artikeln, verstehen Sie, sondern vor anderen Dingen, die weder mit den Artikeln noch mit dem Roman das geringste zu tun hatten. So ängstigte mich zum Beispiel die Dunkelheit. Kurzum, ich geriet ins Stadium einer psychischen Erkrankung. Ich brauchte vor dem Einschlafen nur die Lampe im kleinen Zimmer auszumachen, und schon war mir, als ob ein Polyp mit sehr langen und kalten Greifarmen durchs geschlossene Fenster-chen hereinkroch. Ich mußte vorm Schlafengehen Feuer machen. Meine Geliebte veränderte sich sehr (von dem Polypen sagte ich ihr natürlich nichts, doch sie sah, daß mit mir etwas nicht stimmte), sie wurde mager und blaß, lachte nicht mehr und bat mich immerzu, ihr zu verzeihen, daß sie mir geraten hatte, den Auszug drucken zu lassen. Sie sagte, ich solle alles stehen- und liegenlassen, nach dem Süden ans Schwarze Meer fahren und dafür den Rest von den hunderttausend Rubeln verbrauchen. Sie war sehr hartnäckig, und um nicht mit ihr zu streiten (etwas sagte mir, daß ich nicht mehr ans Schwarze Meer kommen würde), versprach ich ihr, es in den nächsten Tagen zu tun. Sie aber erklärte, daß sie mir die Fahrkarte kaufen werde. Da holte ich all mein Geld hervor, ungefähr zehntausend Rubel, und gab es ihr. ,Warum denn soviel?' fragte sie verwundert. Ich sagte
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