Der Meister und Margarita
Hortung von Devisen Blödsinn sei. Niemand kann sie nutzen, unter keinen Umständen, das versichere ich Ihnen. Nehmen wir zum Beispiel diesen Duntschil. Er bekommt ein reichliches Gehalt und leidet keinerlei Not. Er hat eine prächtige Wohnung, eine Frau und eine schöne Geliebte. Aber nein, statt still und friedlich zu leben, sich jegliche Unannehmlichkeiten zu ersparen und die Devisen samt den Steinen abzuliefern, hat dieser selbstsüchtige Holzkopf erreicht, daß er vor aller Augen entlarvt wurde, und zum Nachtisch hat er sich eine größere familiäre Unannehmlichkeit eingehandelt. Also, wer liefert ab? Keiner? Wenn's so ist, tritt als nächste Nummer unseres Programms ein bekanntes dramatisches Talent auf, der Schauspieler Sawwa Potapowitsch Kuro-lessow, den wir eigens engagiert haben, damit er uns Auszüge aus dem ,Geizigen Ritter' des Dichters Puschkin vorträgt." Der angekündigte-Kurolessow erschien sofort auf der Bühne, er war ein großer, feister, glattrasierter Mann im Frack mit weißer Schleife. Ohne jede Vorrede zog er ein finsteres Gesicht, runzelte die Stirn und sprach mit unnatürlicher Stimme, zum goldenen Glöckchen schielend:
"So wie ein junger Laffe Sehnsucht leidet nach einer schlauen Buhlin oder sonst..."
Kurolessow erzählte viele unschöne Dinge von sich. Nikanor Iwanowitsch hörte ihn gestehen, eine unglückliche Witwe habe heulend im Regen vor ihm gekniet, aber das harte Herz des Schauspielers nicht zu rühren vermocht. Nikanor Iwanowitsch hatte vor seinem Traum keine Ahnung von den Werken des Dichters Puschkin gehabt, doch ihn selber hatte er genau gekannt und täglich ein paarmal Sätze gesprochen wie: "Soll vielleicht Puschkin Ihre Miete bezahlen?" oder "Die Birne im Treppenhaus hat wohl Puschkin rausgeschraubt?" oder "Wer soll denn das Öl kaufen, vielleicht Puschkin?"
Nunmehr mit einem seiner Werke vertraut, wurde Nikanor Iwanowitsch traurig, als er sich die im Regen kniende Frau mit ihren Waisen vorstellte, und er dachte unwillkürlich: Ein Strolch ist er, dieser Kurolessow!
Dieser setzte, immer mehr die Stimme hebend, seine Geständnisse fort und brachte Nikanor Iwanowitsch völlig durcheinander, denn er wandte sich plötzlich an einen anderen, der gar nicht auf der Bühne war, und antwortete sich selbst an Stelle dieses Abwesenden, wobei er sich bald Herzog, bald Graf, bald Vater, bald Sohn nannte und sich bald siezte, bald duzte. Nikanor Iwanowitsch begriff nur so viel, daß der Schauspieler eines bösen Todes starb, wobei er schrie: "Die Schlüssel, Schlüs-sei, wo!", röchelnd zu Boden sank und sich vorsichtig die Schleife abriß.
Nachdem Kurolessow gestorben war, stand er wieder auf, klopfte sich den Staub von der Frackhose, verbeugte sich, lächelte ein falsches Lächeln und entfernte sich unter schütterem Applaus. Der Conferencier aber sprach:
"Wir hörten in der hervorragenden Ausführung von Sawwa Po-tapowitsch Kurolessow den ,Geizigen Ritter'. Dieser Ritter hoffte, flinke Nymphen würden sich um ihn scharen und weitere erfreuliche Dinge ähnlicher Art sich ereignen, aber Sie sehen, gar nichts hat sich ereignet, keine Nymphen haben sich um ihn geschart, keine Musen ihm Zins gezahlt; er errichtete keine Paläste, sondern er endete sehr scheußlich, starb von einem Schlag auf seiner Truhe voller Devisen und Edelsteine und fuhr zu des Teufels Großmutter. Ich warne Sie: Ähnliches, wenn nicht Schlimmeres wird Ihnen zustoßen, wenn Sie nicht Devisen abliefern!"
Ob nun Puschkins Poesie solchen Eindruck machte oder die prosaische Rede des Conferenciers, jedenfalls klang plötzlich aus dem Saal eine schüchterne Stimme: "Ich gebe Devisen ab."
"Kommen Sie bitte auf die Bühne", lud der Conferencier höflich ein und starrte in den dunklen Saal.
Auf der Bühne erschien ein kleiner blonder Mann, der sich, nach seinem Gesicht zu urteilen, drei Wochen nicht rasiert hatte.
"Entschuldigung, wie war Ihr Name?" erkundigte sich der Con-ferencier.
"Nikolai Kanawkin", antwortete der Mann schüchtern. "Ah! Sehr angenehm, Herr Kanawkin. Also?" "Ich gebe Devisen ab", sagte Kanawkin leise. "Wieviel?"
"Tausend Dollar und zwanzig goldene Zehnrubelstücke." "Bravo! Das ist alles, was Sie haben?"
Der Conferencier blickte Kanawkin tief in die Augen, und Nikanor Iwanowitsch hatte sogar den Eindruck, daß ihm Strahlen aus den Augen schössen und Kanawkin durchbohrten wie Röntgenstrahlen. Der Saal hielt den Atem an.
"Ich glaube Ihnen!" rief der Schauspieler endlich und löschte den Blick.
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