Der Meister und Margarita
weiter oben eine zweite Sperrkette rund um den Hügel. Endlich kam die andere Zenturie unter dem Kommando von Marcus Rattenschlächter. Sie kam, auseinandergezogen zu zwei Ketten längs der Straße, zwischen denen unter dem Geleit des Geheimdienstes die drei Verurteilten auf einem Fuhrwerk gebracht wurden, weiße Bretter um den Hals, auf denen jeweils in zwei Sprachen — Aramäisch und Griechisch — die Worte "Verbrecher und Meuterer" standen. Dem Fuhrwerk der Verurteilten folgten andere Wagen, beladen mit frischgehobelten Pfählen mit Querbalken, mit Stricken, Spaten, Eimern und Äxten. Ebenfalls auf diesen Fuhrwerken saßen die sechs Henker. Hinter ihnen ritten der Zenturio Marcus, der Chef der Tempelwache von Jerschalaim und der Mann mit der Kapuze, den Pilatus im verdunkelten Gemach des Palastes flüchtig gesprochen hatte. Den Beschluß der Prozession bildete eine Kette Soldaten, und dann kamen etwa zweitausend Neugierige, die die höllische Hitze nicht scheuten und bei dem prickelnden Schauspiel dabeisein wollten.
Den Neugierigen aus der Stadt hatten sich schaulustige Pilger angeschlossen, die man ungehindert der Prozession folgen ließ. Unter den dünnen Schreien der Ausrufer, die die Kolonne begleiteten und wiederholten, was Pilatus mittags verkündet hatte, bewegte sich die Prozession den Schädelberg hinan. Die Ala ließ jedermann in den Raum zwischen den beiden Sperrketten, die zweite Zenturie aber ließ nur diejenigen passieren, die mit der Hinrichtung zu tun hatten, dann verteilte sie in einem raschen Manöver die Menge rund um den Hügel, so daß diese oben von der Infanterie und unten von der Kavallerie eingeschlossen war. Sie konnte die Hinrichtung durch die dünne Kette der Infanteristen hindurch beobachten. Seit die Prozession den Gipfel des Berges erreicht hatte, waren schon mehr als drei Stunden vergangen, und die Sonne senkte sich, wie gesagt, auf den Schädelberg herab, aber die Hitze war noch immer unerträglich, und die Soldaten der beiden Sperrketten litten unter ihr und unter der Langeweile, verfluchten die drei Verbrecher aus tiefstem Herzensgrund und wünschten ihnen aufrichtig einen schnellen Tod.
Der kleine Kommandierende der Ala befand sich mit nasser Stirn und auf dem Rücken schweißdunklem weißem Gewand am Fuß der Anhöhe bei der Öffnung im Sperring; immer wieder ging er zum ersten Zug, schöpfte mit den Händen Wasser aus dem Ledereimer, trank und netzte seinen Turban. Das verschaffte ihm einige Erleichterung, er trat zurück, und wieder maß er mit dem Blick vorwärts und rückwärts die staubige Straße, die zum Gipfel führte. Das lange Schwert schlug ihm gegen die Riemenstiefel. Er wollte seinen Reitern ein Beispiel an Ausdauer geben, doch sie taten ihm leid, und so erlaubte er ihnen, die Lanzen pyramidenförmig in die Erde zu stoßen und die weißen Umhänge darüberzubreiten. In diesen Zelten suchten die Syrer Schutz vor der gnadenlosen Sonne. Die Eimer leerten sich schnell, und die Kavalleristen aus verschiedenen Zügen gingen umschichtig nach. Wasser in die Schlucht am Fuße des Berges, wo im dürftigen Schatten kümmerlicher Maulbeerbäume ein trüber Bach seine letzten Tage durch die teuflische Hitze schleppte. Hier im schwachen Schatten standen auch die Pferdewärter und hielten die still gewordenen Pferde am Zügel. Die Erschöpfung der Soldaten und ihre Verwünschungen gegen die Verbrecher waren verständlich. Die Befürchtung des Prokurators, während der Hinrichtung könnten in der ihm verhaßten Stadt Jerschalaim Unruhe entstehen, bewahrheitete sich glücklicherweise nicht. Als die vierte Stunde der Hinrichtung anbrach, befand sich zwischen den beiden Sperrketten, der Infanterie oben und der Kavallerie unten, entgegen allen Erwartungen kein Mensch mehr. Die Sonne hatte die Menge ausgedörrt und nach Jerschalaim zurückgetrieben. Innerhalb der beiden Ketten wären nur noch zwei herrenlose Hunde. Aber auch an ihnen zehrte die Hitze, mit hängender Zunge lagen sie da, hechelten und achteten nicht der grünrückigen Eidechsen, der einzigen Lebewesen, die die Sonne nicht fürchteten und zwischen den glühenden Steinen und kriechenden Dornengewächsen hin und her flitzten.
Niemand hatte versucht, die Verurteilten zu befreien, weder in Jerschalaim, das von Truppen überschwemmt war, noch hier auf dem abgesperrten Hügel, und die Menge war in die Stadt zurückgekehrt, denn diese Hinrichtung war wirklich langweilig, und in der Stadt liefen bereits die Zurüstungen zum
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