Der Meister
Ihnen nicht gelungen ist – Catherine Cordell.«
»Oh. Ja, an sie denke ich auch. Aber ich spreche nicht von ihr.«
»Von wem denn?«
»Von der anderen.« Er starrte in die Kamera – ein Blick von solcher Intensität, dass Rizzoli seine Hitze spüren konnte.
»Der Polizistin.«
»Sie meinen die, die Sie aufgespürt hat? Sie ist diejenige, um die sich Ihre Fantasien drehen?«
»Ja. Ihr Name ist Jane Rizzoli.«
18
Dean stand auf und drückte die Stopptaste des Videorekorders. Der Bildschirm wurde dunkel. Warren Hoyts letzte Worte schienen wie ein permanentes Echo in der Stille nachzuhallen. In seinen Fantasien hatte er ihr die Kleider vom Leib gerissen und sie ihrer Würde beraubt, sie auf nacktes Fleisch reduziert, auf Hals und Brüste und Bauch. Sie fragte sich insgeheim, ob Dean sie jetzt ebenso sah, ob die erotischen Visionen, die Hoyt heraufbeschworen hatte, nun auch in sein Gehirn eingebrannt waren.
Er drehte sich zu ihr um. Sie hatte es nie leicht gefunden, seine Miene zu entziffern, doch der Zorn, der jetzt aus seinen Augen blitzte, war unverkennbar.
»Sie begreifen doch, nicht wahr?«, sagte er. »Sie sollten dieses Video sehen. Er hat eine Spur aus Brotkrumen ausgelegt, und Sie sind ihr gefolgt. Der Umschlag mit O’Donnells Adresse hat uns zu O’Donnell selbst geführt. Zu seinen Briefen, zu diesem Videoband. Er wusste, dass Sie das alles irgendwann zu sehen bekommen würden.«
Sie starrte auf den leeren Fernsehbildschirm. »Er spricht zu mir.«
»Genau. Er benutzt O’Donnell als Medium. Wenn Hoyt mit ihr spricht, wenn er ihre Fragen beantwortet, wendet er sich in Wirklichkeit an Sie. Er erzählt Ihnen von seinen Fantasien, um Sie in Angst zu versetzen, um Sie zu demütigen. Hören Sie sich doch an, was er sagt.« Dean spulte das Band zurück.
Wieder erschien Hoyts Gesicht auf dem Bildschirm. »Es lässt mich nachts nicht schlafen. Wenn ich daran denke, wie es hätte sein können – an die Lust, die mir verwehrt blieb. Mein Leben lang habe ich immer größten Wert darauf gelegt, alles zu Ende zu führen, was ich einmal begonnen hatte. Deshalb ist mir diese Sache so ein Dorn im Auge. Ich muss ständig daran denken. Die Bilder gehen mir unentwegt durch den Kopf« Dean drückte auf Stopp und sah Rizzoli an. »Was löst das in Ihnen aus – zu wissen, dass er unentwegt an Sie denkt?«
»Sie wissen ganz genau, was das in mir auslöst.«
»Und er weiß es auch. Deshalb wollte er, dass Sie sich das anhören.« Dean spulte ein Stück vor und drückte dann auf Play.
Hoyts Augen fixierten mit unheimlicher Intensität ein Publikum, das er nicht sehen konnte. »Ich denke daran, wie ich sie ausziehe. Wie fest ihre Brüste sind. Und ihr Bauch. So ein schöner, flacher Bauch.« Wieder drückte Dean auf Stopp. Sein Blick ließ sie erröten.
»Ich weiß schon«, sagte sie. »Sie wollen wissen, was das in mir auslöst. «
»Sie fühlen sich ausgeliefert?«
»Ja.«
»Verletzlich?«
» Ja. «
»Vergewaltigt.«
Sie schluckte krampfhaft, wandte sich ab und sagte leise: »Ja.«
»Und genau das war seine Absicht. Sie sagten mir, er fühle sich von traumatisierten Frauen angezogen. Von Frauen, denen Gewalt angetan wurde. Und genau solche Gefühle löst er nun in Ihnen aus, allein durch die Worte auf dieser Videokassette. Er macht Sie zum Opfer.«
Sie fuhr herum und sah ihm in die Augen. »Nein«, sagte sie. »Nicht zum Opfer. Wollen Sie wirklich wissen, was ich in diesem Moment empfinde?«
»Was?«
»Ich empfinde eine unbändige Lust, dieses Dreckschwein in Stücke zu reißen.« Es war eine Antwort, die vom schieren Mut der Verzweiflung getragen war – jedes Wort wie ein Faustschlag. Er war nicht darauf gefasst gewesen und sah sie einen Moment lang stirnrunzelnd an, ohne etwas zu erwidern. Konnte er erkennen, wie viel Mühe es sie kostete, die Fassade aufrechtzuerhalten? Hatte er ihrer Stimme angehört, wie brüchig diese Fassade war?
Sie ließ sich nicht beirren, wollte ihm keine Gelegenheit geben, ihren Bluff zu durchschauen. »Sie wollen sagen, dass er zum Zeitpunkt des Gesprächs bereits wusste, dass ich die Aufzeichnung irgendwann sehen würde? Dass das Band letztlich für mich bestimmt war?«
»Hat es sich für Sie etwa nicht so angehört?«
»Es hat sich angehört wie die Ausgeburt irgendeines kranken Hirns.«
»Aber er ist nicht einfach irgendein Irrer. Und es geht auch nicht um irgendein Opfer. Sie sind es, die er anspricht, Jane. Er redet über das, was er Ihnen gerne antun
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