Der Meister
entsprechend anregte, sei es mit Mobiles oder Leselernkarten oder mit Tonbandaufnahmen der Stimme des Vaters, die das Einmaleins aufsagte.
In Mathematik bin ich immer gut gewesen.
Aber das sind Erinnerungen, die Sie wahrscheinlich weniger interessieren. Nein, Sie sind auf der Suche nach den dunkleren Seiten der Kindheit; von weißen Kinderbettchen und hübschen Mobiles wollen Sie nichts hören. Sie wollen wissen, warum ich so bin, wie ich bin.
Also sollte ich Ihnen wohl von Mairead Donohue erzählen.
Ihren Namen habe ich erst Jahre später erfahren, als ich einer Tante von meinen frühesten Erinnerungen erzählte, worauf sie verblüfft ausrief: » O mein Gott – du kannst dich tatsächlich noch an Mairead erinnern! « Ja, allerdings, ich erinnere mich an sie. Wenn ich mir die Bilder meines Kinderzimmers ins Gedächtnis rufe, ist es nicht das Gesicht meiner Mutter, sondern das von Mairead, das mich über das Geländer meines Bettchens hinweg anschaut. Weiße Haut, verunstaltet durch ein großes Muttermal, das wie eine schwarze Fliege auf ihrer Wange sitzt. Grüne Augen, ebenso schön wie kalt. Und ihr Lächeln – selbst ein kleines Kind wie ich kann erkennen, was die Erwachsenen nicht sehen wollen: Dieses Lächeln ist von Hass vergiftet. Sie hasst den Haushalt, in dem sie arbeitet. Sie hasst den Gestank von vollen Windeln. Sie hasst die hungrigen Schreie, mit denen ich sie aus dem Schlaf reiße. Sie hasst die Umstände, die sie in diese heiße Stadt in Texas verschlagen haben, wo alles so ganz anders ist als in ihrer irischen Heimat.
Und mehr als alles andere hasst sie mich.
Ich weiß es, denn sie demonstriert es auf tausend unauffällige, subtile Arten und Weisen. Sie hinterlässt keine Spuren bei ihren Misshandlungen, o nein – dazu ist sie zu clever. Sie macht ihrem Hass Luft, indem sie sich über mein Bettchen beugt und mir giftige Worte ins Ohr flüstert, leise zischend wie eine Schlange. Ich kann die Worte nicht verstehen, aber ich höre ihren hasserfüllten Ton, und ich sehe den Zorn, der aus ihren zusammengekniffenen Augen funkelt. Sie kümmert sich durchaus um meine körperlichen Bedürfnisse; meine Windeln sind stets frisch, mein Milchfläschchen richtig temperiert. Aber da ist das unaufhörliche heimliche Kneifen und Zwicken, das Brennen in meiner Harnröhre, wenn sie mich mit reinem Alkohol einreibt. Ich schreie natürlich wie am Spieß, aber nie bleiben irgendwelche blauen Flecken oder Narben zurück. Ich bin nun mal ein Baby, das zu Krämpfen und Koliken neigt, erzählt sie meinen Eltern, von Natur aus nervös veranlagt. Und die arme Mairead, die Tag und Nacht schuftet! Sie ist es, die sich mit dem schreienden Balg herumschlagen muss, während meine Mutter ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommt. Meine Mutter, die immer nach Nerz und Parfüm duftet.
Das also sind meine Erinnerungen. Die plötzlichen, heftigen Schmerzen. Das Geräusch meiner eigenen Schreie. Und vor allem Maireads weißer Hals, wenn sie sich über mein Bettchen beugt, um mich in meine zarte Haut zu kneifen oder zu pieksen.
Ich weiß nicht, ob ein so kleines Kind, wie ich es war, schon Hass empfinden kann. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass uns solche Misshandlungen einfach nur ratlos zurücklassen. Mit unserem unvollkommen ausgebildeten Verstand können wir bestenfalls Ursache und Wirkung miteinander verknüpfen. Und ich muss schon damals begriffen haben, dass der Ursprung meiner Leiden eine Frau war, eine Frau mit kalten Augen und milchweißem Hals.
Rizzoli saß an ihrem Schreibtisch und starrte auf den Brief mit Warren Hoyts gestochen präziser Handschrift, beide Ränder messerscharf ausgerichtet, mit kleinen, eng gesetzten Buchstaben, die in schnurgerader Linie über das Papier wanderten. Obwohl er den Brief mit Tinte geschrieben hatte, waren keinerlei Korrekturen zu sehen, kein einziges durchgestrichenes Wort. Jeder Satz war bereits in seinem Kopf ausformuliert gewesen, bevor er den Stift angesetzt hatte. Sie sah ihn vor sich, wie er sich über das Papier beugte, den Füllfederhalter in seinen schlanken Fingern, seine Haut, die über das Papier strich – und plötzlich verspürte sie das dringende Bedürfnis, sich die Hände zu waschen.
Kurz darauf stand sie am Waschbecken in der Damentoilette, wo sie mit Hilfe von Seife und Wasser alle Spuren Hoyts restlos zu tilgen suchte. Doch nachdem sie sich die Hände gründlich gewaschen und abgetrocknet hatte, fühlte sie sich immer noch wie verseucht, als ob
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