Der Meister
Boston ankommen.«
»Ich bin nicht müde.«
»Weil du vor Stress vollkommen aufgedreht bist.«
Sie zwängte ihre Füße in die Schuhe. »Hör endlich auf damit.«
»Womit?«
»Dich ständig um mich kümmern zu wollen.«
Er schwieg eine Weile. Dann erwiderte er mit einem Anflug von Sarkasmus in der Stimme: »Tut mir Leid. Ich hatte vergessen, dass du ja durchaus in der Lage bist, auf dich selbst aufzupassen.«
Sie verharrte mit dem Rücken zu ihm. Schon bereute sie, was sie gesagt hatte. Zum ersten Mal wünschte sie, er würde sich tatsächlich um sie kümmern. Sie in den Arm nehmen und sie sanft überreden, sich wieder ins Bett zu legen, wo sie dann eng umschlungen schlafen würden, bis es Zeit für sie war zu gehen.
Aber als sie sich zu ihm umdrehte, sah sie, dass er aufgestanden war und sich schon anzukleiden begann.
24
Im Flugzeug schlief sie ein. Als sie beim Landeanflug auf Boston wieder aufwachte, fühlte sie sich benommen, und ihre Kehle war wie ausgedörrt. Das schlechte Wetter war ihnen von D.C. gefolgt, und beim Sinkflug durch die Wolken rüttelten Turbulenzen an den ausklappbaren Tabletts ebenso wie an den Nerven der Passagiere. Draußen verschwanden die Flügelspitzen hinter einem grauen Vorhang, doch sie war viel zu müde, um sich auch nur einen Moment lang Sorgen wegen der Landung zu machen. Und anstatt sich auf das zu konzentrieren, was vor ihr lag, musste sie an Dean denken. Sie starrte durchs Fenster hinaus in den Nebel und erinnerte sich an die Berührung seiner Hände, seinen warmen Atem auf ihrer Haut.
Und sie erinnerte sich an ihre letzten Worte am Eingang des Terminals in Washington, an den kühlen, hastigen Abschied im prasselnden Regen. Sie waren nicht wie zwei Liebende auseinander gegangen, sondern wie Geschäftspartner, die beide schon mit den Gedanken bei ihren nächsten Terminen waren. Sie gab sich selbst die Schuld für die neuerliche Distanziertheit in ihrem Verhältnis und machte ihm zugleich Vorwürfe, weil er sie hatte gehen lassen. Wieder einmal war Washington zur Stadt der Reue und der befleckten Laken geworden.
Die Maschine landete im strömenden Regen. Auf dem Rollfeld sah sie das Bodenpersonal in Regenjacken mit Kapuzen durch die Pfützen sprinten, und schon jetzt war ihr der Gedanke an das, was ihr bevorstand, ein Gräuel. Die Rückkehr in ihre Wohnung, in der sie sich nie wieder sicher fühlen würde, weil er dort gewesen war.
Als sie ihren Koffer von der Gepäckausgabe abgeholt hatte und damit ins Freie trat, peitschte ihr der Wind, der unter das Vordach wehte, einen Schwall Regen ins Gesicht. Eine lange Schlange entmutigt wirkender Gestalten wartete am Taxistand. Sie ließ den Blick über die Reihe von Limousinen schweifen, die am gegenüberliegenden Straßenrand parkten, und war erleichtert, im Fenster eines der Wagen ein Schild mit der Aufschrift » Rizzoli «zu entdecken.
Sie klopfte an das Fahrerfenster, worauf die Scheibe herabglitt. Es war ein anderer Fahrer – nicht der ältere Schwarze, der sie am Tag zuvor zum Flughafen gefahren hatte.
»Ja bitte, Ma’am?«
»Ich bin Jane Rizzoli.«
»Zur Claremont Street, nicht wahr?«
»Ja, das bin ich.«
Der Fahrer stieg aus und hielt ihr die Fondtür auf. »Willkommen an Bord. Ihr Gepäck lege ich in den Kofferraum.«
»Danke.«
Sie stieg ein und ließ sich mit einem erschöpften Seufzer in den edlen Ledersitz sinken. Draußen war die Luft von hektischem Hupen erfüllt, Reifen rauschten durch große Pfützen, doch in der geschlossenen Welt dieser Limousine herrschte angenehme Stille. Sie schloss die Augen, als der Wagen sich sanft in Bewegung setzte und in Richtung Boston davonfuhr.
Ihr Handy klingelte. Sie raffte sich aus ihrer Erschöpfung auf und begann benommen in ihrer Handtasche zu wühlen. Kugelschreiber und Münzen fielen heraus und kullerten ihr zwischen die Füße. Endlich hatte sie das Telefon gefunden und meldete sich beim vierten Klingeln.
»Rizzoli.«
»Hier spricht Margaret, Büro von Senator Conway. Ich habe Ihre Reise organisiert, und jetzt wollte ich mich nur noch einmal vergewissern, dass es mit Ihrer Abholung vom Flughafen keine Probleme gegeben hat.«
»Nein, ich sitze schon in der Limousine.«
»Ah.« Eine kurze Pause. »Nun, da bin ich ja froh, dass sich das noch geklärt hat.«
»Was denn?«
»Ich habe einen Anruf vom Chauffeurdienst bekommen; sie wollten wissen, ob ich bestätigen könnte, dass Sie Ihre Fahrt vom Flughafen gecancelt hätten.«
»Nein, der Wagen hat schon auf
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