Der Meister
ihre offene Tür gesehen und angenommen, dass sie aussteigen wollte.
»Ich bin schon angemeldet, vielen Dank«, sagte sie und drehte sich wieder zu Dean um. Doch der Augenblick war vorbei. Der Portier stand immer noch da und wartete darauf, dass sie ausstieg. Also stieg sie aus.
Ein Blick durch das Beifahrerfenster, ein kurzes Winken – das war ihr Abschied. Sie drehte sich um und ging zum Eingang. Nur einmal drehte sie sich noch um und sah dem Wagen nach, bis er im Regen verschwunden war.
Im Aufzug lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. Innerlich schalt sie sich für jede unverstellte Gefühlsregung, die sie gezeigt hatte, für jedes unkluge Wort, das ihr während der Fahrt herausgerutscht sein mochte. Als sie wieder in ihrem Zimmer war, hatte sie nur noch einen Wunsch – so schnell wie möglich ihre Tasche zu packen und nach Boston zurückzufliegen. Sicher gab es am Abend noch eine Maschine. Oder sie würde den Zug nehmen. Sie war schon immer gerne Zug gefahren.
Sie wollte nur noch fliehen, diesen Ort und all die peinlichen Momente hinter sich lassen, und so öffnete sie ihren Koffer und machte sich ans Packen. Sie hatte nur sehr wenig mitgenommen. Schnell waren die Bluse und die Hose zum Wechseln aus dem Schrank genommen und auf das Halfter mit ihrer Waffe geworfen. Dann steckte sie noch rasch ihre Zahnbürste und ihren Kamm in den Toilettenbeutel, stopfte ihn in den Koffer und zog den Reißverschluss zu. Sie war schon auf dem Weg nach draußen, als es an der Tür klopfte.
Es war Dean. Sein grauer Anzug war mit Regentropfen besprenkelt, seine Haare glänzten feucht. »Ich glaube, wir waren noch nicht ganz fertig mit unserem Gespräch«, sagte er.
»Wollten Sie mir noch irgendetwas sagen?«
»Ja, allerdings.« Er kam herein und schloss die Tür. Sein Blick fiel auf ihren fertig gepackten Koffer, und er runzelte die Stirn.
Mein Gott, dachte sie. Einer von uns muss jetzt mutig sein. Die Gelegenheit beim Schopf packen.
Bevor er noch irgendetwas sagen konnte, riss sie ihn an sich – und fühlte im gleichen Moment, wie seine Arme sich um ihre Hüften schlangen. Als sich dann ihre Lippen berührten, war bei beiden auch der letzte Zweifel ausgeräumt, dass diese Umarmung von beiden Seiten ausging. Wenn es ein Fehler war, was sie taten, dann traf sie beide die gleiche Schuld. Sie wusste so gut wie nichts über ihn – nur, dass sie ihn begehrte. Mit den Konsequenzen würde sie sich später herumschlagen.
Sein Gesicht war nass vom Regen, und als er sich seiner Kleider entledigte, blieb der Duft der feuchten Wolle auf seiner Haut zurück – ein Duft, den sie gierig einsog, als ihr Mund seinen Körper erkundete, so wie er den ihren. Für romantische Zärtlichkeiten fehlte ihr die Geduld: Wild und leidenschaftlich musste es sein. Sie spürte, wie er sich zurückhielt, wie er sie zu bremsen suchte. Er wollte die Initiative nicht abgeben, doch sie widersetzte sich ihm, benutzte ihren Körper, um ihn aus der Reserve zu locken. Und so kam es, dass bei diesem ersten Mal sie die Eroberin war. Er konnte sich nur noch ergeben.
Hinterher schliefen sie erschöpft ein, während es draußen allmählich dunkel wurde. Als sie aufwachte, fiel nur noch ein schwacher Dämmerschein durch das Fenster auf den Mann an ihrer Seite. Einen Mann, der ihr auch jetzt noch ein Buch mit sieben Siegeln war. Sie hatte seinen Körper benutzt, so wie er den ihren benutzt hatte, und obwohl sie wusste, dass sie eigentlich Schuldgefühle haben sollte wegen der Lust, der sie sich hingegeben hatten, empfand sie in diesem Moment nichts als eine angenehme Müdigkeit.
»Du hattest schon gepackt«, sagte er.
»Ich wollte noch heute Abend abreisen und nach Boston zurückfliegen.«
»Warum?«
»Ich habe nicht eingesehen, warum ich noch länger bleiben sollte.« Sie streckte die Hand aus, strich ihm über die rauen Bartstoppeln. »Bis du hier aufgekreuzt bist.«
»Was ich beinahe nicht getan hätte. Ich bin ein paarmal um den Block gefahren. Ich musste all meinen Mut zusammennehmen.«
Sie lachte. »Das klingt ja so, als ob du dich vor mir fürchtest.«
»Willst du eine ehrliche Antwort? Du bist eine Frau, die einem Mann ganz gehörigen Respekt einflößen kann.«
»Ist das wirklich der Eindruck, den ich vermittle?«
»Ja – aufbrausend, leidenschaftlich. Ich bin immer wieder verblüfft über die Energie, die du ausstrahlst.« Er streichelte ihren Oberschenkel, und seine Berührung ließ sie aufs Neue erschaudern. »Vorhin im Auto hast
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