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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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unterbindet den nährenden Blutstrom; das unterversorgte Gewebe wird blass und entzündlich, es kann leicht zu Hautabschürfungen kommen. Aus einer kleinen Verletzung wird rasch ein eitriges Geschwür, das wie eine Ratte am Fleisch nagt.
    Dank meiner ABC-Mädchen habe ich keinen Dekubitus – so sagt man mir jedenfalls. Ich kann es selbst nicht überprüfen, denn ich kann ja meinen eigenen Rücken und mein Gesäß nicht sehen, und fühlen kann ich von den Schultern abwärts auch nichts. Mein Wohlbefinden liegt ganz in den Händen von Armina, Bella und Corazon, und wie jedes hilflose kleine Kind richte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf die Menschen, die für mich sorgen. Ich betrachte eingehend ihre Gesichter, atme ihren Duft ein, merke mir den Klang ihrer Stimmen. Ich weiß, dass Arminas Nasenrücken ein klein wenig schief ist, dass Bellas Atem oft nach Knoblauch riecht und dass Corazon ganz leicht stottert.
    Ich weiß auch, dass sie Angst vor mir haben.
    Sie wissen natürlich, warum ich hier bin. Jeder, der hier auf der Station für Rückenmarksverletzte arbeitet, weiß genau, wer ich bin, und obwohl sie mich ebenso höflich und zuvorkommend behandeln wie alle anderen Patienten, bleibt es mir nicht verborgen, dass sie es vermeiden, mir in die Augen zu sehen; dass sie zögern, bevor sie meine nackte Haut anfassen, als ob sie die Temperatur eines Bügeleisens prüfen müssten. Ich bemerke die Blicke der Helferinnen, wenn sie an meiner Tür vorbeigehen, höre sie untereinander flüstern. Mit den anderen Patienten halten sie gerne mal ein Schwätzchen, fragen sie nach ihren Freunden und Familien, aber mir stellt niemand solche Fragen. Gewiss, sie wollen wissen, wie es mir geht und ob ich gut geschlafen habe, aber damit ist der Gesprächsstoff dann auch schon erschöpft.
    Und doch weiß ich, wie neugierig sie sind. Alle sind sie neugierig, alle wollen sie einen Blick auf den Chirurgen erhaschen, obwohl sie sich nicht allzu nahe an mich heranwagen – als ob ich plötzlich aufspringen und über sie herfallen könnte. So lugen sie nur verstohlen zur Tür herein und nähern sich mir nur dann, wenn ihre Pflicht es verlangt. Die ABC-Mädchen pflegen meine Haut, sie kümmern sich um die Leerung meiner Blase und meines Darms, und dann ergreifen sie die Flucht. Sie lassen das Monster in seiner Höhle allein, ans Bett gefesselt durch seinen eigenen ruinierten Körper.
    Kein Wunder, dass ich den Besuchen von Dr. O’Donnell mit solcher Vorfreude entgegensehe.
    Einmal pro Woche kommt sie vorbei. Sie bringt ihren Kassettenrekorder mit, ihren gelben Notizblock und eine Mappe voller blauer Kugelschreiber, mit denen sie sich Notizen macht. Und sie bringt ihre Neugier mit; sie trägt sie offen und unverhohlen zur Schau, wie einen knallroten Mantel. Ihre Neugier ist rein wissenschaftlicher Natur – das glaubt sie jedenfalls. Sie rückt ihren Stuhl ganz nahe an mein Bett heran und stellt das Mikrofon auf den Klapptisch, damit es auch wirklich jedes Wort aufzeichnet. Dann beugt sie sich vor, streckt mir den Hals entgegen, als wolle sie mir die entblößte Kehle darbieten. Es ist ein entzückender Hals. Sie ist naturblond und sehr blass, und ihre Adern zeichnen sich als zarte blaue Linien unter der porzellanweißen Haut ab. Sie sieht mir unerschrocken in die Augen und stellt mir ihre Fragen.
    » Vermissen Sie John Stark? «
    » Das wissen Sie doch. Ich habe einen Bruder verloren. «
    » Einen Bruder? Aber Sie kennen doch nicht einmal seinen richtigen Namen. «
    » Und die Polizei wird nicht müde, mich danach zu fragen. Ich kann ihnen nicht helfen, denn er hat ihn mir nie verraten. «
    » Aber Sie haben doch aus der Haft lange Zeit mit ihm korrespondiert. «
    » Namen waren uns nicht wichtig. «
    » Sie kannten einander gut genug, um zusammen zu morden. «
    » Nurdas eine Mal, in Beacon Hill. Es ist wie Liebemachen, denke ich. Beim ersten Mal muss man noch lernen, einander zu vertrauen. «
    » Das gemeinsame Morden war also eine Möglichkeit, ihn besser kennen zu lernen. «
    » Gibt es eine bessere! «
    Sie zieht eine Augenbraue hoch, als sei sie sich nicht ganz sicher, ob meine Bemerkung ernst gemeint war. Das war sie.
    » Sie nennen ihn einen Bruder « , sagt sie. » Was meinen Sie damit! «
    » Wir hatten eine ganz besondere Beziehung, einen heiligen Bund. Es ist so schwer, einen Menschen zu finden, der mich wirklich versteht. «
    » Das kann ich mir vorstellen. «
    Ich habe ein unfehlbares Gespür für jeden noch so leisen Anflug von

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