Der Memory Code
Malachai zumarschiert.
“Mr. Ryder?”, fragte der Jüngere, an Malachai gewandt.
“ No” , korrigierte ihn Josh. “Das bin ich.”
Der Beamte fragte ihn etwas auf Italienisch.
Josh schüttelte den Kopf. “ Non capisco . Sorry, ich verstehe nicht.” Allmählich kam es ihm so vor, als habe er das an diesem Morgen schon ein Dutzend Mal gesagt. Die Sprachbarriere erwies sich zunehmend als Ärgernis; sein bisschen Italienisch half nur wenig. Am liebsten hätte er die beiden Beamten aufgefordert, keine wertvolle Zeit zu verplempern, denn schließlich lief ein bewaffneter Grabräuber in der Gegend herum. Und wenn man nicht umgehend etwas unternahm, würde er bald über alle Berge sein. Aber dazu reichten seine Sprachkenntnisse nicht aus.
Da die Carabinieri mit dem Rücken zu Gabriella standen, bemerkten sie nicht, wie sie sich davonstahl. Die übrigen Polizisten waren eifrig dabei, Personalien aufzunehmen und die Anwesenden zu befragen. Merkwürdigerweise war noch keiner auf den Gedanken gekommen, Gabriellas Ziel unter die Lupe zu nehmen: das Grab, den eigentlichen Tatort.
Kein Wunder!, begriff Josh. Sie wissen ja noch gar nicht, dass die Tat da unten verübt wurde!
Der junge Beamte, der unverdrossen Josh zu vernehmen versuchte, bemerkte seinen Blick und folgte der Richtung. Als er Gabriella sah, rief er ihr etwas nach.
Sie drehte sich um. In ihren Augen stand wilde Entschlossenheit; ihr Gesicht war von Tränen und Schmutz verschmiert, ihre Kleidung verdreckt vom Sturz. Sie schrie etwas zurück, das Josh wieder nicht verstand, und stieg dann die Leiter hinunter in die Krypta, für deren Entdeckung sie verantwortlich war.
Als sie verschwand, fühlte Josh, wie sein Herz einen Sprung tat. Schlagartig machte er sich furchtbare Sorgen um sie. Es blieb ihm aber keine Zeit, sich zu fragen, wieso er derart heftig auf eine ihm völlig fremde Person reagierte, denn in diesem Augenblick geschahen zwei Dinge fast gleichzeitig: die Schaulustigen durchbrachen die provisorische Absperrung, und sämtliche Carabinieri mussten die Menge unter Aufbietung aller Kräfte zurückdrängen.
Josh nutzte die Verwirrung und eilte schnurstracks auf die Ausgrabung zu.
“Halt, Josh!”, rief Malachai ihm nach. “Machen wir lieber, dass wir hier wegkommen! Geh nicht …”
“Ich darf sie da unten nicht allein lassen”, schrie Josh ihm zu und lief weiter, ohne sich darum zu kümmern, ob die Polizisten ihm nachsetzten oder nicht. Er hatte den Rand des Einstiegsloches gerade erreicht, als er Gabriellas Entsetzensschrei hörte. Er drang aus der Tiefe, gellend, stockend und so voller Schmerz, dass es klang, als leide sie Folterqualen.
13. KAPITEL
A uf den Lippen ein kehliges, klagendes Stöhnen, kniete sie neben Sabinas zerbrochenen Gebeinen in der Ecke der Krypta. Es dauerte eine Weile, bis Josh begriff, dass Gabriella immerzu das Wort “Nein” ausstieß. Es klang wie ein Gebet.
Er wusste zwar, dass er direkt die Professorin anschaute, doch trotzdem war ihm, als sehe er das Grab an einem anderen Tag.
Das flüchtige Aufblitzen eines weißen Gewandes.
Rotes Haar.
Tiefblaue Augen, tränenerfüllt.
Sabina.
Es drängte ihn förmlich, hineinzugreifen ins Dunkle; am liebsten hätte er den Geist zu fassen gekriegt und ihn gezwungen zu verraten, was hier vorging. Gabriellas Stimme jedoch, eindringlich, dunkel, riss ihn umgehend in die Gegenwart zurück. “Ziehen Sie die Leiter runter!”, befahl sie. “Werfen Sie sie um. Schlagen Sie sie kaputt!”
“Wie bitte?”
“Los, schnell! Runter mit der Leiter, weg von der Wand!”
Nach wie vor im Bann seines Erinnerungssprunges tat Josh, wie ihm geheißen, wenngleich er nicht begriff, warum er es tat.
“Und jetzt hauen sie die Sprossen durch. Nehmen Sie das hier!” Sie warf ihm einen Spaten zu. “Bitte! Helfen Sie mir, etwas Zeit zu gewinnen.”
Josh machte sich beherzt ans Werk, und als die ersten Polizisten oben an der Einstiegsöffnung auftauchten, hatte er schon die obersten sechs Sprossen der hölzernen Leiter zerschlagen. Diesmal brauchte er keine Italienischkenntnisse; er verstand auch so, dass die Beamten in die Krypta wollten.
“Zeigen Sie ihnen die kaputte Leiter”, befahl Gabriella.
Fast hätte er geschmunzelt angesichts ihrer reaktionsschnellen Auffassungsgabe, aber er hielt sich zurück. Der junge Beamte, der ihn zuvor bereits vernommen hatte, blickte von der zersplitterten Leiter über Josh hinüber zur Professorin. Dann warf er seinem Kollegen eine offenbar
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