Der Memory Code
war, spürte Rachel doch, dass es wohl einige Zeit dauern mochte, bis er wieder weibliche Gesellschaft suchen würde.
Ihr Vater hatte seine Frau im Stich gelassen, als Rachel noch ein Kind war. Daraufhin war Alex eingesprungen und für das Mädchen zu weit mehr geworden als nur ein Onkel. Nun war Rachel froh, dass sie ihm Gesellschaft leisten und zudem die Sicherheit genießen konnte, die ihr ein Gebäude mit Pförtner und einem rund um die Uhr einsatzbereiten Alarmsystem vermittelte.
Ohne es recht zu merken, hatte sie sich an diese Wohngemeinschaft gewöhnt und in den vergangenen zwei Tagen, seit Onkel Alex für eine Woche zu einer Geschäftsreise nach London und Mailand aufgebrochen war, nicht richtig einschlafen können. Resigniert saß sie nun bei eingeschaltetem Licht im Bett, neben sich ein Glas Weißwein. Während im Fernsehen ein alter Film lief, las sie auf ihrem Laptop die neuesten Nachrichten.
Grabkammer gehört zu Vestalin
von Charlie Billings
Rom, Italien
Gestern wurde bestätigt, dass es sich bei der jüngsten Ausgrabung vor den Toren der Ewigen Stadt um die Grabstätte für eine der letzten vestalischen Jungfrauen des alten Roms handeln soll.
“Wir sind ziemlich sicher, dass das Grab aus dem späten vierten Jahrhundert stammt, genauer gesagt aus der Zeit zwischen 390 und 392 nach Christus. Die gefundenen Tongefäße und sonstigen Gegenstände unterstützen diese Vermutung. Wir gehen davon aus, dass die hier begrabene Frau eine Vestalin war”, sagte Gabriella Chase, Professorin für Archäologie an der Universität Yale und Expertin für alte Sprachen und antike Religionen. Seit drei Jahren arbeitet sie zusammen mit ihrem Kollegen Professor Aldo Rudolfo von der römischen Universität La Sapienza an Ausgrabungen in der betreffenden Gegend.
“Besonders ungewöhnlich ist die Tatsache”, so Chase weiter, “dass die Tote eine der sechs letzten vestalischen Jungfrauen sein könnte. Nach über tausend Jahren ging der Kult der Vesta im Jahre 391 unter, zeitgleich mit dem Aufstieg des Christentums während der Herrschaft des Kaisers Theodosius I.”
Der Fernsehlärm verstummte; das Licht im Schlafzimmer verdunkelte sich. Rachel versuchte weiterzulesen, im Bett zu bleiben, die Laken unter den Händen und die Kissen im Rücken zu spüren. Tief im Inneren aber flatterte ihr das Herz, begann ihr der Puls zu rasen, war sie wie elektrisiert von der Verheißung auf Erkenntnis. Eine ganze Welt, von der sie nicht das Geringste wusste, offenbarte sich ihr wie ein ungeschliffener Diamant. Sie brauchte nur einzutreten und sie zu erforschen.
Schon wurde sie überwältigt von einer Szenerie, die wie unter unwirklichem Sonnenschein erstrahlte. Wärme hüllte Rachel ein, nahm sie gefangen, liebkoste sie wie eine Sommerbrise, wohlig und erregend zugleich. Die Strahlen drangen nun in ihr Inneres ein; sie fühlte sich leicht, so leicht, dass sie sich in die Lüfte erhob, schneller und immer schneller fliegend, dabei sich aber durchaus bewusst, dass sie alle diese Gefühle wie in extremer Zeitlupe erlebte.
Die Sonne verbrannte ihr die Wangen; der Geruch der Hitze drang ihr in die Nase. Ihr Körper vibrierte, als wäre er ein Instrument, auf dem jemand spielte. Sie hörte Musik, doch diese hatte nichts zu tun mit Tönen oder Tasten, nichts mit Klängen und Melodien. Sie bestand aus Rhythmus allein und Rachel spürte, wie ihr Herzschlag in den gleichen Takt verfiel, wie auch ihr Atem sich diesem Gleichmaß anpasste.
Dann wurde ihr kalt. Fröstelnd durch eine Glastür spähend, durch einen Spalt in den Vorhängen, beobachtete sie heimlich zwei Männer, die sich über einen Schreibtisch beugten.
“Deswegen bin ich nach Rom gekommen”, sagte der eine, den Rachel zwar gut kannte, dessen Name ihr aber nicht einfallen wollte. “Dabei hatte ich die Hoffnung, sie jemals zu finden, längst aufgegeben.”
Plötzlich fiel ihr Blick auf die magischen Steine und deren Farbenpracht. Blaue und grüne Lichtblitze erfüllten Rachel mit einem unbändigen Hochgefühl, gleich einer Droge. Rachel wollte dort stehen und begreifen, wie die Strahlen ineinander verschmolzen, wie dabei Hunderte neuer Farbschattierungen entstanden: ein Regenbogen aus Smaragdgrün, wechselnd über Pfauenblau zu Kobaltblau, schließlich zu einem Meeresgrün, Salbeigrün, Dunkeltürkis bis hin zu Rottönen aus Burgunder und Purpur.
“Ein wahrhaft bedeutender Fund!” Die Stimme des Mannes war hart wie die Kanten von Stein, und Rachel hatte das Gefühl, als
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