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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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unter dem Arm gehalten hatte. »Würden Sie eventuell so freundlich sein und mir hier auf dieses Foto ein Autogramm geben? Ich habe es gerade erworben.«
    Jana sah Jonathan an. Das Foto zeigte sie während eines Sprunges mit Drehung, und Jonathan hatte ihm mit wenigen, aber gekonnten zeichnerischen Veränderungen einen Schwung und eine Dynamik gegeben, die ihren Sprung noch außergewöhnlicher erscheinen ließ. Sie wusste, dass dies eines seiner Lieblingswerke war, und ein Autogramm darauf würde es in seinen Augen zweifellos verändern, wenn nicht zerstören, aber Jonathan verzog keine Miene. Er stand da und machte ein unbeteiligtes Gesicht, als würde ihn das alles nicht interessieren.
    Jana lächelte, nahm dem Mann den dicken Filzstift aus der Hand, den er bereithielt und unterschrieb. Sie war sensibel genug, zu spüren, wie verletzt Jonathan war. Es war sein Abend, seine Vernissage, sein Erfolg, aber sie stahl ihm die Schau, alles drehte sich nur noch um die Ballerina der Deutschen Oper, die Muse des Künstlers, und nicht mehr um ihn. Und jetzt hatte sie durch ihre Unterschrift auch noch sein Bild zerstört.
    Der Mann bedankte sich für das Autogramm mit einer tiefen Verbeugung und ging.
    In den kommenden anderthalb Stunden kam sich Jonathan in der Galerie vor wie reine Staffage. Er wurde begrüßt, höflich für seine Arbeit gelobt und dazu beglückwünscht, doch die wahre Aufmerksamkeit der Besucher galt Jana. Sie war der Star des Abends, die Inspiration des Künstlers, die Attraktion Berlins. Jonathan war nur ein Statist, der auf seine erfolgreiche Frau stolz sein durfte, der, der ihr Talent benutzte, um auf anderem Gebiet ebenfalls Karriere zu machen. Zeitweilig stand er einfach nur dumm herum, drehte sein Sektglas in den Händen und sah zu, wie seine Frau von Fans und Bewunderern umringt wurde.
    Um halb eins lehnte Jonathan gelangweilt, ein bisschen verloren und vollkommen nüchtern neben einem seiner größten Fotos, das einen grauschwarzen Tornado zeigte, der über einem kleinen amerikanischen Ort tobte und sich ein knallorangefarbenes Haus als Ziel seiner Zerstörungswut ausgesucht hatte. Die Spitze der Windhose zielte genau auf den Schornstein.
    Jonathan war zu dieser Zeit in Arkansas gewesen und hatte das sensationelle Foto geschossen. Einen Tag später hatte er auch die Trümmer des orangefarbenen Hauses aufgenommen, aber dieses Foto interessierte niemanden. Einzig und allein der Moment der Gefahr war ausschlaggebend und prickelnd.
    Adam Genzke, der Galerist, kam auf ihn zu.
    »Nun?«, fragte er grinsend, »was sagst du? Ich glaube, die Vernissage war ein Riesenerfolg. Hättest du das gedacht?«
    »Ich hab es gehofft«, antwortete Jonathan geistesabwesend.
    »Bis auf drei Bilder sind alle verkauft, die kriegen wir auch noch weg, ich kann es gar nicht fassen. Du bist ein Star, Jonathan!«
    »Schön«, sagte er und zwang sich zu einem Lächeln. »Dank dir, Adam. Für alles.«
    Damit drehte er sich um und machte sich auf die Suche nach Jana.
    Sie war im Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister und dessen Frau. Jonathan begrüßte die beiden, aber als sie ihre Begeisterung zum Ausdruck brachten und sich dabei ständig gegenseitig ins Wort fielen, hörte er gar nicht mehr zu.
    »Ich kann nicht mehr«, flüsterte er anschließend Jana ins Ohr. »Kommst du mit nach Hause?«
    Sie nickte und lächelte. »Gleich.«
    Er wandte sich ab und ging ins Büro, um auf sie zu warten.
    Sieben Minuten später kam sie und zupfte ihn am Ärmel.
    »Na, dann komm«, sagte sie nur.
    Vor der Galerie stiegen sie in ihr Auto und fuhren davon.
    Bis zu ihrer gemeinsamen Wohnung waren es fünfzehn Minuten. In dieser Nacht brauchte Jonathan nur zwölf. Er sehnte sich jetzt nach einem kühlen Glas Wein oder einem kalten Bier. Den ganzen Abend hatte er nur am lauwarmen Sekt genippt, und davon war ihm ganz übel.
    »Möchtest du auch noch einen Schluck trinken?«, fragte er Jana, als er in die Küche ging, aber sie antwortete nicht, sondern war schon auf dem Weg nach oben.
    Jonathan machte sich eine Flasche Bier auf und wartete. Jana trank nur ganz selten etwas, wenn sie am nächsten Tag Probe oder Vorstellung hatte, und er kannte ihren Spielplan nicht. Aber auch wenn sie nur Wasser trank und dazu ein paar Karotten aus der Salatschüssel fischte – nach Premieren oder Abenden wie diesem saßen sie immer eine halbe Stunde zusammen, ließen alles Geschehene noch einmal Revue passieren und erzählten sich gegenseitig, was bemerkenswert

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