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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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ein. Für Hella nahm er erst gar kein Glas heraus, da er wusste, dass sie Cognac nicht mochte.
    »Nein«, wiederholte er, »dieser Typ will euch zerstören. Dich und Leonie. Oder nur einen von euch beiden. Keine Ahnung. Er will euch am Boden sehen. Und er will wissen, dass ihr kaputt seid. Eine bloße Ahnung reicht ihm da nicht.«
    »Leonie ist tot.«
    »Ja. Aber das muss der Entführer nicht unbedingt wissen. Er lebt in Italien. Zumindest kommt dieser Brief aus Italien. Und da pfeifen es nicht unbedingt die Spatzen von den Dächern, dass sich die Mutter eines entführten Babys umgebracht hat.«
    Tobias sah sich noch einmal genau den Poststempel an. »Er ist in Anbra oder Ambra abgestempelt. Genau kann man das nicht lesen. Keine Ahnung, wo das liegt.«
    Hella ging zum Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. Dann gab sie bei Google Earth »Anbra« ein.
    »Anbra gibt es nicht, aber Ambra. Das liegt in der Toskana. Es liegt zwischen Siena und Arezzo in der Nähe von Bucine.«
    »Aber ich gehe nicht davon aus, dass der Entführer da wohnt«, bemerkte Henning, »er wäre schön blöd, den Brief an seinem Wohnort abzuschicken. Wahrscheinlich kommt er aus Rom oder Mailand, hat in der Toskana ein paar Tage Urlaub gemacht und bei der Gelegenheit den Brief abgeschickt. Oder er ist ein Urlauber aus Deutschland, und er ist sich ganz sicher, dass man ihm von Italien aus nicht auf die Spur kommt.«
    »Das glaube ich auch.« Hella schaltete den Computer wieder aus.
    »Auch ich habe einmal ein Kind verloren, aber das Schicksal hat mir ein neues geschenkt …«, las Henning laut. »Was soll das? Was meinte er damit? Hat er ein Baby gestohlen, weil sein eigenes gestorben ist? Ist es vielleicht genau in diesem Krankenhaus gestorben, in dem Leonie lag? Und ist er deswegen dorthin zurückgekehrt?«
    »Kann ja alles sein. Aber dann hätte er irgendeines nehmen können. Warum wollte er unbedingt meins?« Tobias spürte, dass sie sich mit ihren Gedanken im Kreis drehten und dabei etwas Wichtiges übersahen. Aber er kam nicht darauf, was.
    »Und um all diese Dinge überprüfen zu können, musst du die Polizei einschalten. Unbedingt!« Hella blieb bei ihrer Meinung.
    »Wittek ist es leid. Ich glaube nicht, dass er jetzt nach einem halben Jahr die Akte wieder aufklappt und mit den Ermittlungen wieder von vorn beginnt, nur weil ich einen mysteriösen Brief bekommen habe. Und ist es wirklich der Entführer, der mir da geschrieben hat? Ist das Kind auf den Fotos wirklich Lisa-Marie? Oder ist es nur ein mitfühlender Zeitgenosse, der von dem Fall gehört hat und mir Mut machen will? Alles ist möglich. Vielleicht sehe ich allmählich auch Gespenster und interpretiere viel zu viel in die Dinge hinein. Und darum bin ich heute Abend zu euch gekommen. Dass wir alle drei auf den Boden der Tatsachen zurückkehren, bevor wir die ganze Welt verrückt machen. Oder aber wirklich verstehen, was es mit dem Brief auf sich hat.«
    »Es ist der Entführer, der dir hier geschrieben hat. Auf jeden Fall.« Henning war sich dessen vollkommen sicher. »Warum sollte ein mitfühlender Mensch plötzlich auf die Idee kommen, dir Kinderfotos seiner Tochter zu schicken? Warum? Das ist doch völliger Unsinn, vor allem, da der Fall seit Monaten aus den Schlagzeilen raus ist und niemand mehr daran denkt. Und woher hat ein einfacher Zeitungsleser oder Fernsehzuschauer deine Adresse? Nein, er ist es. Hundertprozentig. Und er denkt jeden Tag an dich und hofft, dass es dir wehtut.«
    »Ein Perverser also.«
    »Ein sehr Perverser.«
    Was sein Vater gesagt hatte, leuchtete Tobias ein. Er trank seinen Cognac aus.
    »Noch einen?«, fragte Henning und schraubte die Flasche auf.
    Tobias schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich bin jetzt zu müde, kann überhaupt nicht mehr denken. Lasst uns morgen beim Frühstück weiterreden. Wann steht ihr auf?«
    »Wir frühstücken um halb neun. Wie immer.«
    »Okay. Bei Tag haben wir vielleicht noch eine andere Idee. Gute Nacht!« Er küsste seine Mutter auf die Wange, drückte seinem Vater freundschaftlich die Schulter und ging aus dem Zimmer.
     
    Obwohl er todmüde gewesen war, hatte er Schwierigkeiten einzuschlafen. Ihn plagte diese Ahnung, irgendetwas Wichtiges übersehen zu haben. Doch auch wenn er das Gespräch mit seinen Eltern und all seine Gedankengänge mit ihren vielen Wenn und Aber Revue passieren ließ, kam er einfach nicht darauf.
    Um vier Uhr wurde er wach, weil er fror. Sein T-Shirt war vollkommen durchgeschwitzt, er hatte sich

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