Der Menschenraeuber
wohnt«, sagte er, »ich weiß nur, dass er ein kleines Kind hat. Ich muss ihm eine sehr wichtige Nachricht überbringen.«
Alle, die er fragte, lächelten und schüttelten den Kopf, als hätten sie sich verschworen. Es kannten zwar viele irgendwelche Deutsche, die zurückgezogen in den Bergen in einsamen Häusern lebten, aber von einem Baby wusste niemand etwas.
Mit jeder vergeblichen Frage wurde Tobias müder und verzweifelter. Es waren also doch eine Schnapsidee und ein Irrsinn gewesen, so überstürzt nach Italien zu fahren.
Zum Schluss trank er noch ein Glas Wasser in der Bar und machte sich dann auf den Weg zu seinem Zimmer. Er musste unbedingt schlafen. Vielleicht hatte er ja morgen, wenn er ausgeschlafen war, noch eine Idee.
Viola saß zusammen mit ihrem Mann Franco vor dem Haus, als er kam. Sie hatte ihre nackten Füße auf einen Klappstuhl gelegt und grinste breit. Franco schüttelte ihm die Hand. Einen Gast zu haben war etwas ganz Besonderes. Auch in der Hauptsaison. Ein Geschenk des Allmächtigen.
Viola deutete Tobias an, er möge sich setzen, und lief ins Haus, um eine Flasche Wein zu holen. Um nicht unhöflich zu erscheinen, nahm Tobias die Einladung an.
Als Viola Tobias ein Glas randvoll geschenkt und sich und Franco nur einen Fingerhut voll eingegossen hatte, fragte Tobias nach dem Deutschen und dem Kind, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte, und weil es das Einzige war, das er mittlerweile fließend auf Italienisch konnte.
Viola und Franco überlegten erst kurz, und dann begannen sie miteinander zu diskutieren. Tobias verstand kein Wort und wartete geduldig ab. Die Diskussion wurde immer hitziger, zum Schluss schrien sie sich an, bis sie ganz plötzlich, wie auf Anweisung eines Dirigenten, der mit einem gewaltigen Schlussstrich die Symphonie beendet, verstummten.
»Nein«, sagte Viola schließlich, »es tut uns furchtbar leid, aber wir kennen keinen Deutschen mit einem kleinen Kind. Jedenfalls nicht hier in Ambra.«
Tobias hatte Lust, sein Weinglas gegen die Wand zu werfen, aber er beherrschte sich, bedankte sich, stand auf und ging in sein Zimmer.
Er putzte sich nur noch die Zähne, schloss die Fensterläden, kroch mühsam unter das unter der Matratze festgezurrte Laken und schlief sofort ein. Selbst die ungewohnten Straßengeräusche hörte er nicht mehr, auch nicht das Bremsen der Autos direkt unter seinem Fenster, bevor sie langsam über die künstliche Bodenwelle zur Verkehrsberuhigung fuhren, um danach sofort wieder Gas zu geben. Ein Geräusch, das störender war, als wenn sie ihr Tempo gleichmäßig beibehalten hätten. Er nahm nichts mehr wahr, schlief traumlos und fest bis um sieben Uhr früh, als Viola lautstark an seine Tür hämmerte.
Er fiel fast aus dem Bett, so erschrak er, murmelte fast automatisch und immer noch schlaftrunken »si, si« und versuchte, sich mühsam in der absoluten Dunkelheit zu orientieren. Dann stolperte er zum Fenster und klappte die Fensterläden auf. Sonnenlicht durchflutete das Zimmer.
Sich räuspernd und einmal kurz durch die Haare fahrend, ging er zur Tür und öffnete.
Viola strahlte ihn an. »Buongiorno«, sagte sie, »haben Sie gut geschlafen?«
Tobias nickte matt.
»Hören Sie, ich habe mit meinem Schwager gesprochen. Er hat eine kleine Osteria und kennt hier jeden. Und ich glaube, er kennt auch den Deutschen, den Sie suchen.«
Bis auf »tedesco« verstand Tobias kein Wort, aber Violas glänzende Laune interpretierte er so, dass endlich jemand etwas wusste.
Er hob die Hand, ging zu seiner Jacke, die über der Stuhllehne hing, zog einen winzigen Notizblock und einen Kugelschreiber aus der Jackentasche und reichte beides Viola. Mit einem aufmunternden Nicken.
Viola verstand und malte umständlich und ungeübt mit großen krakeligen Großbuchstaben die Adresse auf den Zettel.
La Passerella / Monte Benichi stand darauf.
SIEBENUNDVIERZIG
»Amore«, sagte Sofia leise, denn Daniela schlief auf ihrem Arm, »ich höre ein Auto. Es kommt langsam den Berg herunter und wird gleich hier sein. Aber wenn mich nicht alles täuscht, sind alle unsere Gäste zu Hause. Wer kann das sein? Hast du Handwerker bestellt?«
»Nein.«
Es war noch keine richtige Angst, sondern nur ein unangenehmes Gefühl, das sich langsam in ihm breitmachte. Die Furcht, dass eine ungute Ahnung sich bewahrheiten könnte.
»Bitte geh mit Daniela ins Haus! Ich will erstmal sehen, wer das ist.«
Kommentarlos stand Sofia auf. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass
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