Der menschliche Körper
schlecht einstufen müsste und die ihn ganz im Gegenteil bis in die letzte Nervenfaser befriedigt hat. Er bemerkt, dass er Salvatore Camporesi noch einmal den Schlafplatz geraubt hat.
Am folgenden Abend wartet er im klimatisierten BMW auf ein Zeichen. Alles wiederholt sich in derselben Reihenfolge: Sie machen Sex wie Fremde, hypnotisiert und schweißgebadet, und wenn sich ihre Körper der Angst entledigt haben, fangen sie an zu reden. So geht das den Rest des Sommers weiter.
Am 6 . August befragt sie ihn eingehend nach den Details der Operation Mother Bear, und als sie bei ihm auf Zurückhaltung stößt, wird sie zornig und beschuldigt ihn, sich nur an dumme Regeln zu halten, wie alle anderen. Am 9 . August erzählt sie ihm, wie viel Angst Salvatore in sich verschloss, komprimiert in sich trug, und wie er sich erst nachts im Schlaf durch heftige Muskelzuckungen davon befreite. Hat er das bemerkt? Nein, eigentlich nicht. Am 28 . August insistiert sie wegen eines Lederarmbands, an das René sich natürlich überhaupt nicht erinnert. Er schwört jedoch, es jeden einzelnen, in der FOB verbrachten Tag an Salvatores Handgelenk gesehen zu haben, sicher, jeden Tag, er legte es nie ab. Er sieht sich gezwungen, sie häufig zu belügen, vor allem, wenn sie unbedingt etwas über den Leichnam wissen will, den zu sehen man ihr verwehrt hat ( 31 . August, 7 . und 9 . September). Was sonst soll er ihr erzählen? Dass sie nicht einmal sicher waren, ob sie die sterblichen Überreste von Salvatore gefunden hatten und dass da jedenfalls keine Spur von seinen Händen oder Augen war? Dass ihr Mann zusammen mit den anderen in der Luft zerfetzt wurde? Am 13 . September hält sie ihm einen Vortrag über die Verantwortung, die uns auferlegt wird durch die Zuneigung derer, die um uns sind. René tut nur so, als würde er verstehen. Am 26 . September schreit sie ihn an, er solle gehen, und droht, die Polizei zu holen, was er von ihr wolle? Es ist nichts Gutes da, nur Schmerz, er soll seinen verdammten Wagen wenden und sich ein lustiges Mädel suchen, weit weg von dieser Ware mit abgelaufenem Verfallsdatum, die sie ist. René nimmt den Ausbruch mit Bitterkeit hin, aber zum ersten Mal erwägen sie die Möglichkeit, dass ihr Umgang miteinander mit etwas anderem zu tun haben könnte als mit Einsamkeit und Trauer.
Am 30 . September bleibt der Feldwebel bis zum nächsten Morgen, weil Gabriele hohes Fieber hat und Flavia sich unsicher fühlt. Mitten in der Nacht weckt Gabriele sie mit seinem Weinen, er hat ins Bett gemacht. René hält den Jungen auf dem Arm, während Flavia das Bett frisch bezieht. Der Körper des Kindes ist glatt und nachgiebig, wie hingegossen. Am 5 . Oktober kostet es René extreme Mühe, Flavia davon abzubringen, dass die Schuld für das, was geschehen ist, ganz bei Zampieri und ihrer Fahrweise liegt. Wer weiß, wie sie darauf gekommen ist, wahrscheinlich hat er selbst es ihr suggeriert, mit seiner Version der Tage im Tal. In anderen Nächten hört er einfach, wie sie weint, und versucht nicht, sie davon abzuhalten.
Am 18 . November sind sie noch wach, als draußen ein Unwetter niedergeht. René merkt, dass sich etwas verändert hat. Er hat ihr alles erzählt – alles, was er konnte –, für Flavia gibt es in der ganzen FOB kein unerforschtes Fleckchen mehr. Er könnte ihr einen Kuss geben und für immer gehen, er weiß, dass sie nicht versuchen würde, ihn zurückzuhalten. Stattdessen findet er den Mut, sie noch einmal zum Abendessen einzuladen. Nach langem Schweigen antwortet sie: «Du weißt, was da auf uns zukommt.»
«Ich glaube, ja.»
«Nein, du weißt es nicht. Ich bin nicht allein, René. Ich habe ein Kind, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest.»
«Ich mag Gabriele.»
«Das Problem ist nicht, ob du ihn magst, sondern ob er dich mag. Siehst du? Da hast du dich schon vertan.»
«Ich kann das ändern.»
«Du verstehst nichts davon.»
«Ich verstehe so viel, wie ich verstehen muss.»
«René, wir sollten so ein Schlamassel vermeiden.»
Ein Hagelkorn schlägt gegen die Fensterscheibe und zerspringt, ohne jemanden zu verletzen oder die Scheibe einzuschlagen. «Und wenn ich es nicht vermeiden will?»
Flavia zögert. «Wenn du in mein Haus kommen willst, musst du erst die Kaserne verlassen.»
«Du weißt, dass ich das nicht kann.»
«Dann kann ich auch nicht. Ich will nichts mehr mit dem Krieg zu tun haben.»
«Flavia …»
«Entweder du versprichst es mir jetzt, oder du gehst und kommst
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