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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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aus der Entfernung hat der Feldwebel den Eindruck, dass das für seine zusammengewürfelte Mannschaft zum ersten Mal ein Grund für gemeinsamen Stolz ist.
    «Glückwunsch, Feldwebel», brüllt Masiero.
    René bemerkt, dass seine Hand schweißnass ist. «Glückwunsch Ihnen, Herr Hauptmann.»
    Ballesio zeichnet den Drittplatzierten mit einem Radiowecker aus, der die Uhrzeit an die Wand projiziert. Masiero bekommt außer der Medaille eine Suunto-Taucherarmbanduhr mit Stahlgehäuse, großem Zifferblatt und unendlich vielen Funktionen. Die wird mindestens dreihundert Euro gekostet haben. Sein Preis wird noch mehr wert sein, überlegt René.
    Er beugt den Nacken und lässt sich vom Kommandanten die Goldmedaille umhängen. Dann öffnet er das Paket. Er fühlt Masieros kalten Blick auf sich ruhen, und von seiner Höhe aus bemitleidet er ihn, weil er immer noch in ihrem unnützen Wettstreit befangen ist.
    Auch er als Erstplatzierter bekommt eine Uhr: eine gewöhnliche Swatch aus Plastik, das Armband in schwarz-grünem Tarnfleck. Ungläubig schickt er einen fragenden Blick zu Ballesio, der so tut, als verstünde er nicht. Dann blickt er Masiero an, der Hauptmann lächelt ihm zu: Es gibt doch immer noch etwas zu lernen über die Feinheiten des Kommandos.
    Sein Trostpreis jedoch lässt nicht auf sich warten. Die Nacht ist erstickend heiß, und es ist schon eins vorbei, René steht auf der Straße, weil das Licht in Flavias Schlafzimmer noch immer an ist. Fast wäre er eingenickt – es wäre nicht das erste Mal, dass er im Wagen einschläft, um am Morgen mit schmerzenden Gliedern aufzuwachen –, als ein elektrisch blauer Lichtschein den Innenraum des Wagens erhellt. Einen Augenblick später lärmt sein Handy auf dem leeren Beifahrersitz neben den Resten eines Take-away-Abendessens. Auf dem Display erscheint der Name Flavia.
    Der Feldwebel spitzt die Ohren, um die Sirenen der Polizeistreife zu hören, aber da ist nichts. «Hallo?»
    «Bist du noch da draußen?»
    René, der Stratege, René, der Mann voller Umsicht, der vor weniger als einem Jahr zu einem Einsatz aufbrach, der sich in ein Blutbad verwandeln sollte, hätte gesagt nein, dann hätte er sich vorsichtig von dem Ort, wo er nicht erwünscht war, zu einem sicheren Versteck begeben. Die neue, wirre Version seiner selbst hingegen kann nicht anders, als die Wahrheit zu sagen: «Ja, aber ich fahre weg, wenn du willst.»
    «Nein. Bleib noch ein bisschen.»
    «Kannst du nicht schlafen?»
    «Das kann ich fast nie. Den letzten Herbst habe ich so gelebt, als wäre ich auch in Afghanistan. Jetzt, glaube ich, bin ich nur ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten. Weißt du, welches die Zeitzone der Toten ist?»
    «Nein.»
    «Entschuldige, das war eine dumme Bemerkung.»
    «Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.»
    «Du warst gut beim Wettkampf.»
    «Wer hat dir das erzählt?»
    «Ich war da. Gabriele hat auf dich gezeigt, als du ausgezeichnet wurdest. Ich glaube, er hat den Mann mit dem Rasenmäher wiedererkannt.»
    «Ich glaube, es wäre an der Zeit, mal wieder zu mähen.»
    Flavia übergeht das. «Es gibt Leute, die beschweren sich über den Haufen Kippen, den man jeden Morgen neben dem Gehsteig findet. Du solltest den Aschenbecher benutzen.»
    «Ist gut. Ich werde daran denken.»
    «Salvo sagte, an gewissen Tagen hätte deine Kleidung derartig nach Rauch gestunken, dass man nicht in deiner Nähe sein konnte.»
    «Ich glaube, er hatte recht.»
    «Gehst du noch zu deinen Jungfern?»
    Die Frage kommt unvermittelt. René gibt sich Mühe, seine Verwirrung in Maßen zu halten. «Ich weiß nicht, wovon du sprichst.»
    «Salvo hat mir von deinem Nebenjob erzählt, weißt du. Also, gehst du noch zu ihnen?»
    «Nein. Und im Übrigen sind es keine Jungfern. Nur Freundinnen.»
    «Wie viel verlangst du?»
    «Ich mag darüber nicht reden.»
    «Ach komm, ich bin neugierig, sag mir, was du nimmst.»
    «Das kommt darauf an.»
    «Worauf?»
    «Wie betucht sie sind.»
    Flavia bricht in Gelächter aus. René hält das Handy ein paar Zentimeter vom Ohr weg.
    «Wie altruistisch! Und wenn ich dich engagieren würde?»
    «Mach keine Witze.»
    «Alleinerziehende Mutter mit Witwenrente. Du müsstest großzügig sein.»
    «Hör auf.»
    «Fünfzig? Hundert? Bis hundert könnte ich gehen.»
    «Ich würde nicht mit dir ins Bett gehen.»
    «Und warum nicht?» Sie hat plötzlich den Tonfall gewechselt. «Dann stimmt es also, dass ich wirklich reif für den Müll bin.»
    «Das ist es nicht.»
    «Ach

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