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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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er zuerst Ballesio auf die eine Seite, Irene und den Hauptmann ihm gegenübergesetzt hatte, sieht er nun sie in der Machtposition. Die kecke junge Frau, mit der er in einem früheren Leben eine Liebesbeziehung hatte und mit der er jetzt … etwas teilt, diese Frau gibt Offizieren Befehle, und sie kuschen vor ihr. «War das Sammartinos Idee?», fragt er mit leiser Furcht vor der Antwort.
    «Die hat keine
Ideen
, Oberleutnant. Sie ist nur die Übermittlerin, das gnadenlose Auge, das Sprachrohr derer, die über so armen Würstchen wie Ihnen und meiner Wenigkeit stehen.»
    Egitto kann nicht glauben, dass Irene über sie alle ein solches Todesurteil verhängen will. Er riskiert, sich noch weiter aus dem Fenster zu lehnen, aber er sagt es trotzdem: «Ich glaube nicht, dass die Sammartino so etwas tun würde.»
    Mit einem Ruck legt Ballesio die Unterarme auf den Tisch und beugt sich vor, wutentbrannt. «Ist das wieder Ihr verdammter sechster Sinn, der Ihnen das einflüstert, Oberleutnant? Ich bitte Sie, das ist ein Anfängerfehler.»
    Egitto hat keine Ahnung, ob das, was Ballesio sagt, bloße Vermutungen oder Gewissheiten sind. So wie die Dinge liegen, könnte es Irene selbst gewesen sein, die geplaudert hat. Gibt es jemanden, dem er vertrauen kann? Die Anspielung, ob begründet oder nicht, verwirrt ihn, er fühlt sich entblößt. Der Mut verlässt ihn.
    Der Kommandant zeigt mit dem Zeigefinger auf ihn. «Hören Sie auf mich. Gehen Sie beichten, solange noch Zeit dazu ist, denn man weiß ja nie. Wegtreten.»
     
    Noch einmal versammeln sich die Offiziere, es versammeln sich die einzelnen Kompanien und Abteilungen, und zum Schluss hat jeder eine ungefähre Vorstellung von dem, was er tun muss, sodass er anfangen kann.
    Die Moral ist gut, vor allem unter denen, die bald aufbrechen werden: Obwohl sie sich der Gefahr bewusst sind, die es bedeutet, sich in einer Kolonne aus der Sicherheitszone hinauszubewegen, ist es doch auch eine Gelegenheit, die Spinnweben loszuwerden, die sich in einem Monat des Älterwerdens in der FOB angesammelt haben. Und dann, wer will schon Soldat sein, ohne die Gelegenheit, ein bisschen herumzuballern?
    Nur Cederna, ausgerechnet er, der wenigstens theoretisch ganz wild auf Feuergefechte ist, teilt den allgemeinen Optimismus ganz und gar nicht. Das Telefonat, das er führen muss, ängstigt ihn zu Tode. Schon zwei Mal hat er es aufgeschoben, und jetzt hat er zwei Jungs vorgelassen, die in der Schlange hinter ihm waren. Er hat sich die Fingerknöchel wund gebissen, und wenn er zum x-ten Mal daran saugt, spürt er den Geschmack von Blut. Agnese wird das nicht gut aufnehmen. Die Angst vor ihrer Reaktion steigert seine Nervosität. Warum hat ausgerechnet er, der vor nichts Angst hat, Angst vor einer Frau? Die Wut schürt die Furcht noch weiter, in einem Teufelskreis, der ihn um den Verstand bringt. Von einem ist er jedenfalls überzeugt: Er wird ihr nichts sagen, was auch nur entfernt mit der Wahrheit zu tun hat, dazu besteht kein Anlass. Er wird ihr nicht sagen, dass ihm der Urlaub von diesem Fettwanst Oberst Ballesio höchstpersönlich gestrichen wurde, weil er sich einen Scherz zu viel erlaubt hat und dieser Idiot Mitrano daraufhin mitten in der Nacht angefangen hat, auf seinen Schlafsack zu schießen. Er wird nicht sagen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ihm der Urlaub auch später nicht gewährt wird, er mithin der Einzige im Regiment sein wird, der sechs Monate am Stück draußen ist. Und er wird nicht sagen, dass es ihm leidtut, ums Verrecken nicht.
    Er packt den Telefonhörer. Er ist noch feucht vom Schweiß des Vorgängers. Agneses Stimme klingt vorsichtig.
    «Ich bin’s», sagt Cederna.
    «Du?»
    «Ja, ich.»
    «Du hast mir gefehlt, Junge.»
    «Sie lassen mich nicht gehen.»
    Warum wartet Agnese jetzt so lang? Sag doch was, red schon! «Es tut mir leid», setzt Cederna hinzu und verrät damit seinen wichtigsten Vorsatz.
    Sie bleibt stumm.
    «He, hast du mich gehört?»
    Nichts.
    «Es ist sinnlos, dass du die Stumme spielst. Morgen beginnt hier eine Operation. Ich kann dir keine Einzelheiten erzählen, aber es ist eine ernste Sache. Alle Männer werden gebraucht, und ich kann nicht weg.»
    «Versuch nicht –» Agneses Ton ist barsch, aber ruhig, anders als er es erwartet hatte. Er war darauf gefasst, sie am Telefon weinen zu hören, sie schnauben und schimpfen zu hören, aber darauf nicht. «Versuch erst gar nicht, mich zu rühren mit euren Operationen und der Gefahr und allem

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