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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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Körper.
    «Hast du denn nicht etwas Melodischeres?»
    «Warum? Gefallen dir die Slipknot nicht?»
    Zampieri zieht eine seltsame Grimasse. «Ich weiß nicht einmal, wer das ist.»
    Ietri senkt den Kopf. Wieder geht er die Liste der Titel durch, vor und zurück. Auf einmal scheint ihm, dass da nichts Geeignetes ist, nichts, was interessant genug wäre, um ihr Eindruck zu machen. «Die Suicidal Tendencies, kennst du die?», fragt er hoffnungsvoll.
    «Nein.»
    «Die Nevermore?»
    Zampieri schüttelt den Kopf.
    «Ich spiel sie dir vor. Die Never sind stark.»
    Sie schnaubt. «Hast du nichts von Shakira?»
    Empört richtet Ietri sich auf. «Shakira? Das ist doch keine Musik.»
    «Gefällt aber allen.»
    «Die macht doch nur kommerzielle Liedchen.»
    Zampieri schaut sich um, freudlos. «Na, wenigstens würden welche tanzen. Siehst du nicht? Keiner rührt sich. Bald stopfen wir uns noch die Ohren zu bei dem Zeug.»
    «Wenn es euch nicht gefällt, hätte ja ein anderer den DJ machen können. Das ist meine Musik.» Er ist wütend und gedemütigt. Wenn Zampieri wirklich Shakira mag, dann weiß er nicht, inwieweit sie sich überhaupt verstehen könnten.
    «Schau einer an, jetzt ist er eingeschnappt», sagt sie. «Du bist wirklich wie ein kleiner Junge, wegen Musik so beleidigt zu sein.» Sie macht eine verächtliche Handbewegung. «Leg auf, was du willst, mir ist das völlig egal.» Dann geht sie.
    Vor den Kopf gestoßen, bleibt Ietri stehen, den iPod blöde in der Hand. Er braucht etliche Sekunden, um sich zu erholen.
My Plague
geht zu Ende, und er hat nicht die Geistesgegenwart, einen nächsten Song auszuwählen. In der Ruine ist jetzt nur das Stimmengewirr der Jungs zu hören. Zampieri ist schon zu den anderen zurückgekehrt, zu der Gruppe von Cederna, Pecone und Vercellin, und sie lacht gackernd wie ein Huhn, als ob ihr die Musik und er wirklich völlig egal wären.
    «Das wurde aber Zeit!», schreit Mattioli, die Hände als Trichter an den Mund gelegt, zum DJ hinüber. Die anderen spenden Beifall.
    Was für ein Idiot er war. Er wollte sich hervortun, dabei hat er sich wie immer zum Trottel gemacht. Jetzt ist er voller Scham, am liebsten würde er im Boden versinken. Sollen sie sich ihre Musik doch selbst aussuchen. Sie verstehen ja doch nichts davon. Ietri schaut seine Kameraden an, und auf einmal hasst er sie so, wie er früher die Jungs in Torremaggiore gehasst hat. Auch die hatten keine blasse Ahnung von Musik, sie hörten die von den Radiosendern ausgewählten Bands, die süßlichen italienischen Sänger.
    Er zerknüllt den Plastikbecher und wirft ihn wütend in eine Ecke. Er verlässt die Ruine. Die Nächte werden immer kälter, und er hat nichts weiter an als sein Baumwollshirt. Auch egal. Die Hände in den Hosentaschen, geht er zu den Telefonen, es ist noch Zeit, seine Mutter anzurufen. Dabei war er drauf und dran, es zu versäumen, so beschäftigt war er mit diesem blödsinnigen Fest gewesen. Er begegnet anderen Soldaten, die in die entgegengesetzte Richtung gehen. Geht nur, geht nur, amüsieren werdet ihr euch ja doch nicht.
    Bei den Telefonen trifft er auf René. Der Feldwebel geht rauchend auf und ab. «Was bist du denn da unterwegs ohne Taschenlampe?», raunzt er ihn an.
    Ietri zuckt mit den Achseln. «Mittlerweile kenn ich mich aus», sagt er. «Bist du nicht auf dem Fest geblieben?»
    «Zu viel Durcheinander», antwortet der Feldwebel.
    Er wirkt niedergeschlagen und sehr angespannt. Vielleicht bedeutet das, dass der Einsatz kein Spaziergang wird. Aber in diesem Augenblick ist in Ietri kein Platz für Angst, das interessiert ihn nicht, er ist zu enttäuscht, um etwas anderes als Frust zu empfinden. «Willst du telefonieren?», fragt er.
    «Ich? Nein.» René fährt sich mit der Hand über den rasierten Schädel. «Nein, will ich nicht. Wir sehen uns morgen. Versuch dich auszuruhen.»
    Er entfernt sich mit raschen Schritten, der Obergefreite bleibt allein zurück. Die nächtliche Stille in der FOB ist anders als alles, was er kennt, sie ist Abwesenheit von Motorengeräusch und von menschlichen Stimmen, aber auch von Natur: kein Vogelgezwitscher, keine Grillen, keine Flüsse, die in der Nähe rauschen, nichts, einfach nichts. Stille und basta.
    Die Stimme der Mutter wühlt all seine Gefühle auf, und das Ergebnis ist eine tiefe Niedergeschlagenheit, die ihm in der Kehle sitzt. «Ist das Bauchweh vorbei?»
    «Mama, das ist doch schon Tage her. Es geht mir bestens.»
    «Aber deine Stimme klingt traurig.»
    Nichts

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