Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
Vom Netzwerk:
waren wir schon einmal da, alle hatten uns gesehen, und von der Schwelle der Kirche aus machte ein Typ, den ich nicht kannte, immer wieder Zeichen, dass man hineingehen solle. Ich war in einem Schneesturm Auto gefahren, ich trug ein Hemd, dessen Kragen mir in den Hals einschnitt, ich hatte ganze Wagenladungen an Groll, Unbehagen und Feigheit hinuntergeschluckt, um an diesem Tag dort zu sein und Freude über die Hochzeit meiner Schwester zu heucheln: Wann würden wir uns endlich entschließen, aus dem Auto auszusteigen und das Ganze zu Ende zu bringen?
    Marianna schnaubte, sie beugte sich noch einmal vor, um die Dichte des Schneefalls zu überprüfen, als ob er es wäre, der sie aufhielt. Die Schneeflocken, die sich auf die Scheiben gelegt hatten, machten den Blick nach draußen fast unmöglich, wir waren in einer Eisschachtel eingeschlossen.
    «Glaubst du, sie kommen?», fragte sie leise.
    «Nein. Ich glaube nicht. Du warst sehr klar.»
    «Vielleicht zum Umtrunk.»
    «Auch da werden sie nicht dabei sein.»
    Sie führte einen Daumen zum Mund. Unschuldig strich sie sich über die Lippen, gedankenverloren.
    Ich hatte in dem Moment keine Lust dazu, aber ich fragte sie trotzdem: «Soll ich sie anrufen? Ich glaube, sie würden sich freuen zu kommen.»
    Marianna riss die Augen auf. «Ich denke ja nicht im Ent
fernt
esten daran. Sie werden mir nicht auch noch diesen besonderen Tag wegnehmen.»
    War er besonders? Ja, auf eine seltsame Weise war er es tatsächlich. Marianna blies die Backen auf, wie als Kind. «Nichts passiert je so, wie man sich das ausgemalt hat, stimmt’s?»
    «Fast nichts, glaube ich.»
    Sie kontrollierte noch einmal ihr Make-up im Spiegel und zupfte ein Krümelchen Mascara von den Wimpern. Dann warf sie den Kopf nach hinten und schnaubte. «Was soll’s? Du bist da und begleitest mich, und das ist viel besser so. Komm, Soldat. Gehen wir heiraten.»
    Sie stieß die Wagentür auf, ohne zu warten, bis ich sie ihr öffnete.

Reigen des Todes
    Die Truppe ist um dich herum, über, unter und in dir. Wenn du versuchst, ihr zu entfliehen, bist du immer noch Teil von ihr. Wenn du versuchst, sie zu betrügen, ist sie es, die dich betrügt.
    Die Truppe ist ohne Gesicht. Nichts vermag der Truppe ein Gesicht zu geben. Weder der Generalstab noch das Ministerium, noch die Generäle oder ihre Untergebenen. Auch du nicht.
    Die Truppe war vor dir da und wird da sein, wenn du nicht mehr bist, in Ewigkeit.
    Was du suchst, ist schon da, du musst nur deine Augen trainieren, es zu erkennen.
    Die Truppe hat keine Gefühle, ist aber eher freundlich als feindlich. Wenn du die Truppe gernhast, wird sie dich gernhaben, auf eine Weise, die du nicht kennst und nicht erkennen kannst.
    Zieh die Truppe nicht in den Schmutz, beschimpf sie nicht, und vor allem verrate sie nicht, niemals.
    Durch die Liebe zur Truppe wirst du Liebe zu dir selbst empfinden.
    Du hast die Pflicht, dein Leben in jedem Fall und um jeden Preis zu erhalten, denn dein Leben gehört nicht dir, es gehört ihr.
    Die Truppe macht keinen Unterschied zwischen Körper und Geist, sie sorgt für beide und bestimmt über beide.
    Es ist immer die Truppe, die dich wählt, nicht du wählst sie.
    Die Truppe zieht Schweigen dem Geplapper vor, die eiserne Miene dem Lächeln.
    Der Ruhm, den du anstrebst, ist das Mittel, das die Truppe einsetzt, um ihren Zweck zu erfüllen. Verzichte nicht auf den Ruhm, denn er ist das Tor, durch das die Truppe in dich eindringt.
    Du kennst die Zwecke der Truppe nicht. Wenn du versuchst, sie zu erraten, wirst du verrückt.
    Die wahre Belohnung für jede Tat liegt in der Tat selbst.
    Wer an die Truppe glaubt, läuft nicht Gefahr zu scheitern, weder im Schmerz noch im Tod, denn Schmerz und Tod sind die Mittel, mit denen sie sich deiner bedient.
    Deshalb antworte: Glaubst du an die Truppe? Glaubst du daran? Dann sag es jetzt. Sag es!
     
    Ein weißes Auto hält knatternd wenige Meter vom Lager der afghanischen LKW -Fahrer entfernt. Der Fahrer, der dreist sein Gesicht zeigt, wirft sein persönliches Geschenk in den Kreis der sitzenden Männer und braust wieder in die Richtung davon, aus der er gekommen ist.
    Bevor einer den Mut findet, ihn aufzuheben, betrachten die Fahrer lange den abgeschnittenen Kopf ihres Kollegen, des Wagemutigen, der zwei Nächte zuvor losgefahren war, um zur Ring Road zu gelangen. Der mit Sand verklebte Schädel sieht sie seinerseits an, die Augen erstarrt in dem letzten Grauen, das ihm zugefügt wurde. Nach der Unregelmäßigkeit

Weitere Kostenlose Bücher