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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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komplett schlaflose Nächte verbracht, bei der Ankunft waren seine Bataillonskameraden völlig erschöpft gewesen, und einige waren für den Rest ihres Aufenthalts dienstuntauglich geblieben. Die Eifersucht von vorhin verwandelt sich mit einem Schlag in eine beängstigende Vorahnung. Er hebt die Hand.
    «Bitte sehr, Oberleutnant.»
    Ballesio wirft ihm einen wütenden Blick zu, wie um zu sagen, dass er hier nicht zu reden hat. Egitto ignoriert das. «Ich bin einmal durch das Tal gefahren. Das ist kein sicherer Ort. Wir sollten nach einer alternativen Lösung suchen.»
    Masiero streicht sich über die Schnurrbartenden, während seine Lippen sich zu einem höhnischen Grinsen verziehen. «Ich weiß ja nicht, wie das bei Ihnen ist, Oberleutnant. Aber als ich zur Truppe kam, hatte ich die Vorstellung, dass das
nicht gerade
ein Job ist, der mit
Sicherheit
zu tun hat.»
    Zögerndes, nervöses Lachen, das sogleich wieder verebbt.
    Egitto beharrt auf seinem Standpunkt: «Wir könnten die LKW -Fahrer mit Hubschraubern nach Herat zurückbringen.»
    «Dreißig LKW -Fahrer? Ist Ihnen klar, was uns das kosten würde? Und ohne ihre LKW s. Das scheint mir kein gutes Geschäft für unsere afghanischen Freunde.»
    Ballesio windet sich auf seinem Stuhl, als hätte er Bauchkrämpfe.
    «Das Tal ist gefährlich, Herr Hauptmann», sagt Egitto.
    Der rasche Blick zwischen Masiero und Irene, die an die Wand gelehnt dasitzt wie jemand, der mit der Sache nichts zu tun hat, entgeht ihm nicht.
    «Oberleutnant, bei allem Respekt, aber es wird nicht von Ihnen verlangt, dass Sie sich mit strategischen Fragen befassen. Kümmern Sie sich lieber um die Gesundheit der Soldaten. In letzter Zeit sehen viele recht schlecht aus, kommt mir vor. Hat sonst noch jemand Einwände? Wenn nicht, sollten wir an die Vorbereitungen gehen.» Masiero faltet die Hände wie eine Lehrerin vor ihren Schülern. «Was ich vergessen habe: Die Operation heißt Mother Bear, Mutter Bär. Merken Sie sich das. MB ist die Abkürzung für die schnelle Kommunikation. Ich hoffe, der Name gefällt Ihnen, ich habe ihn mir selbst ausgedacht.»
    Die Anwesenden gehen auseinander, Egitto folgt dem Kommandanten zu dessen Zelt. Ballesio kehrt ihm den Rücken, als wolle er ihn loswerden. Als Egitto seinen Fuß ins Zelt setzt, sagt er: «Was wollen Sie von mir, Oberleutnant? Ich bin sehr beschäftigt.»
    «Sie müssen die Operation abbrechen, Herr Oberst.»
    «Ich muss? Ich
muss
? Ja, wer zum Teufel sind Sie denn, dass Sie mir vorschreiben wollen, was ich zu tun habe?»
    Egitto lässt sich nicht entmutigen. «Das ist ein leichtsinniges und riskantes Unternehmen. Es wird nicht so sein wie beim ersten Mal, jetzt erwartet uns der Feind.»
    Aufgebracht fuchtelt Ballesio mit den Armen. «Was wissen denn Sie davon?»
    «Der abgeschnittene Kopf ist unverkennbar eine Einladung. Und dann …», er zögert, «habe ich so etwas wie den sechsten Sinn.»
    «Ich pfeif auf Ihren sechsten Sinn, Oberleutnant. Kriege werden nicht mit dem sechsten Sinn geführt. Die anderen fünf genügen allemal.»
    Egitto holt tief Luft. Er ist nicht geschaffen für die Insubordination. Er war stets ein polemischer Geist, ein messerscharfer kritischer Geist wie Ernesto, aber seine Intelligenz ist mehr eine Verteidigungs- als eine Angriffswaffe. Diesmal jedoch nicht, diesmal ist er entschlossen, seine Gründe zu nennen. Ihm ist schwindlig, sein Blutdruck muss sehr niedrig sein. «Ich sehe mich gezwungen, Herr Oberst, Sie zu bitten, Ihre Position zu revidieren.»
    «So hören Sie doch auf!», dröhnt Ballesio. Dann lässt er sich verwirrt und mit schlaffen Armen auf den Stuhl fallen. Er kennt unzählige Arten, sich hinzulümmeln. Er schüttelt den Kopf. «Glauben Sie im Ernst,
ich
wäre es, der das will? Komme ich Ihnen nicht vor wie einer, der schon genug abgekriegt hat? Wenn es nach mir ginge, könnten diese LKW -Fahrer da draußen krepieren unter ihrer scheußlichen afghanischen Sonne, krepieren mitsamt diesem ganzen Krieg. Ich hab die Schnauze voll von Krieg, von Einsätzen und dem ganzen Blödsinn.»
    Auch der Oberleutnant setzt sich, vorsichtig. Jetzt muss er seinen Ton auf die plötzliche Wendung in der Unterhaltung abstimmen. «Ich verstehe nicht, Herr Oberst.»
    «Sie verstehen nicht? Sie
verstehen
nicht? Bitten Sie Ihre Freundin, es Ihnen zu erklären.»
    «Meinen Sie Irene Sammartino?»
    «Ihre Streberin, ja, genau die.»
    Im Geist korrigiert Egitto das Bild, das er sich von der Besprechung am Morgen gemacht hatte: Wenn

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