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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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entschärfen. An sich ist diese Nachricht nichts Aufregendes – Afghanistan ist vermint wie ein Rübenfeld nach der Aussaat –, aber etwas ist auffällig und verheißt nichts Gutes: Anscheinend war der Sprengsatz mit bloßem Auge zu sehen gewesen, das Erdreich war erst jüngst bewegt worden und bedeckte ihn nicht ganz. Das kann vielerlei bedeuten, aber von den unterschwelligen Botschaften, die der Feind vermitteln wollte, springen dem Oberleutnant drei ins Auge: 1 ) Wir wissen, woher ihr kommt und wohin ihr geht; 2 ) dies ist eine Warnung, wir bieten euch eine letzte Chance umzukehren und die Regelung der Sache mit den LKW -Fahrern uns zu überlassen; 3 ) von nun an geht’s rund.
    Wenn Egitto viel später daran zurückdachte, war ihm sofort klar gewesen, dass das Auffinden des IED der Schlüsselmoment war, in dem die Soldaten die Illusion von einem glatten Einsatz ohne Hindernisse schwinden sahen und ihnen bewusst wurde, dass sie in einem riesigen Schlamassel steckten. Natürlich, solange sie sich in der Situation befinden, behält jeder diesen Gedanken für sich. Mit einem Mal den Optimismus zu verlieren, festzustellen, dass es von Anfang an überhaupt keinen Sinn hatte, ist das eine, etwas ganz anderes ist es, diese Ahnung auszusprechen. Mutlosigkeit breitet sich aus wie ein Virus, keine militärische Einheit kann sich das leisten.
    Die Anspannung, die nicht in Worte gefasst werden darf, findet andere Wege, sich zu äußern. Camporesi trommelt mit den Fingern auf das Lenkrad, auf eine Art und Weise, die den Oberleutnant verstimmt. Er versucht, komplizierte Rhythmen zu klopfen, die er nicht durchzuhalten versteht. Ihm zuzuhören, und sei es auch nur nebenbei, ist frustrierend. Egitto seinerseits wird von einem plötzlichen Heißhunger überfallen. Es ist merkwürdig, seit Monaten lässt sein Appetit zu wünschen übrig – das ekelhafte Essen und der Überschuss an Serotonin haben ihn seit Beginn des Einsatzes fast acht Kilo abnehmen lassen –, aber jetzt ist da eine Ladung Nitrat, die im Staub nur auf sie gewartet hat, auf
ihn
gewartet hat, und da hat der Verdauungsapparat eine Alarmmeldung ans Hirn geschickt, fast als müsse der Körper sich vorbereiten auf das, was kommt, Kräfte sammeln für den Notfall.
    Er sieht sich nach etwas Essbarem um, und auf einer der Tragbahren findet er die Reste einer K-Ration, Reste der Mahlzeit eines seiner Reisegefährten.
    «Ist das deine?», fragt er Abib. Der Dolmetscher gibt ihm zu verstehen, er solle sich bedienen.
    Egitto entnimmt dem Paket alles, was an Essbarem darin verblieben ist: Crackers, Makrelen in der Dose, Kondensmilch. Nicht einmal vor einem Stück holländischem Käse, an dem deutlich Abibs Bissspuren zu erkennen sind, kann er sich zurückhalten. Noch nicht zufrieden, reißt er eine Dose Ravioli mit Fleischfüllung auf, die aufgewärmt werden müsste. Er verschlingt den Inhalt so, wie er ist, kalt und widerlich. Während er sich gedankenlos vollstopft, verfolgt er eine mit beredten Gesten geführte Auseinandersetzung zwischen zwei Soldaten aus dem Lince vor ihnen. Einen von ihnen kennt er, es ist Angelo Torsu, der Junge, der akute Darmgrippe hatte (vor ein paar Tagen hätte nicht viel gefehlt, und Egitto hätte ihn nach Herat bringen lassen, um abzuklären, ob er sich nicht vielleicht eine Brucellose oder noch etwas Schlimmeres eingefangen hatte). Den anderen hat er schon oft gesehen, erinnert sich aber nicht an seinen Namen. Er zeigt auf ihn und fragt Camporesi: «Wer ist das?»
    «Francesco Cederna. Beachten Sie ihn nicht. Das ist ein Spinner.»
    Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen er ihn sah, hat Egitto von Cederna den Eindruck eines aufbrausenden und erregbaren Typen bekommen, eines, der in Bars Schlägereien anzettelt, von der Sorte, die nach Ansicht seiner Schwester Marianna scharenweise die Truppe bevölkert. Es liegt etwas Beunruhigendes in seinem Blick, sein Lidschlag ist eine Spur langsamer als bei normalen Menschen.
    Er ahnt, dass Cederna Torsu hänselt. Die Spannung zwischen den beiden wächst, bis ein Dritter dazwischengeht und die beiden beruhigt. Sie tauschen den Platz, und bald darauf steigt Torsu aus dem Lince aus. Er nimmt den Helm ab und stellt ihn auf den Boden. Egitto beobachtet, wie er einen schwarzen Plastikbeutel entrollt und in den Helm drückt, die Hosen herunterlässt und sich über dieses improvisierte Klo hockt.
    Jetzt, da er ihn so zusammengekauert über seinem Helm sieht, das Gesicht schmerzverzerrt, kommen ihm Zweifel,

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