Der menschliche Körper
verletzt, auch wenn er das nie und nimmer zugeben würde, ist, dass sein Freund nicht einmal bemerkt hat, wie wütend er auf ihn ist, und dass er seit dem Morgen kein Wort an ihn gerichtet hat. Jetzt hat er zwei Möglichkeiten: grob zu antworten und damit seinen Ärger zu erkennen zu geben oder weiterhin nicht mit ihm zu reden, so zu tun, als wäre er Luft. Aber in der Zeit, die er braucht, um sich zu entscheiden, hat Cederna ihn schon vergessen.
Über Funk macht René Druck, sie sollen schneller fahren. Ihr Zug muss eine Distanz von ein paar hundert Metern aufholen, denn in der letzten Stunde haben sie wegen Torsus Darmproblemen zweimal extra haltgemacht. Beim dritten Mal hat René ihm die Erlaubnis verweigert, aus dem Fahrzeug auszusteigen, und jetzt ist der Soldat gezwungen, sein Geschäft im Stehen im Turm zu verrichten, zum Leidwesen von Mitrano und Simoncelli, deren Köpfe sich genau auf der Höhe seines Beckens befinden. Er lässt Hose und Unterhose herunter, entrollt den Abfallsack und macht es, so gut es geht.
Der Ärmste, denkt Ietri, der im Rückspiegel die Vorgänge im nachkommenden Lince sieht, aber damit ist sein Mitleid auch schon erschöpft. Denn im Moment ist er zu sehr mit Selbstmitleid beschäftigt. Er lässt sich von diesem klebrigen Gefühl in immer düsterere Phantasien hinunterziehen, bis hin zu Todesgedanken. Nur so kann er sich selbst etwas Gutes tun, indem er ganz in Traurigkeit versinkt.
Er wirft einen Blick durchs Fenster, aber da ist nichts, was seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte, kein Baum, kein Haus oder eine andere Farbe als die von Felsen und Sand. Heimweh packt ihn nach dem Ort, in dem er aufgewachsen ist. Schon in der Mittelschule und auch noch im Gymnasium hat er Torremaggiore gehasst und seine menschenleeren Straßen. Er war der einzige Punk im Umkreis von hundert Kilometern, und er trug die apokalyptischen T-Shirts von Slayer als Protestschrei. Jetzt weiß er nicht, was er darum geben würde, dorthin zurückkehren zu können. Auch nur für kurz. Er möchte auf dem hohen Bett mit dem schmiedeeisernen Kopfteil dösen, in dem Zimmer, in das nachmittags zu viel Licht fiel, als dass man richtig hätte schlafen können, er möchte auf das Töpfeklappern der Mutter in der Küche lauschen, auf das Radio, das vor sich hin krächzt, leise, um ihn nicht zu stören.
Warum will er immer zu viele Dinge auf einmal und immer solche, die er nicht haben kann, solche, die vergangen sind oder, schlimmer noch, die nie eintreten werden? Ist das ein Fluch, der auf ihm lastet? Mit zwanzig Jahren beginnt er den Wunsch zu verspüren, dass all diese Begehrlichkeiten spurlos verschwinden mögen. Irgendwann muss doch der Moment kommen, da ein Mann aufhört, sich zerrissen zu fühlen, da er sich genau an dem Platz befindet, wo er sein möchte.
Aus schwindelerregender Höhe stößt ein Falke senkrecht vom Himmel herab, Ietri verfolgt seinen Flug. Kurz bevor er den Boden berührt, schnellt der Vogel wieder in die Höhe, gerät in eine Strömung und lässt sich von der Luft aufwärts tragen. Dieser Anblick inspiriert den Gefreiten. Genau so sollte es sein.
Bei einer plötzlichen Vollbremsung des Lince schleudert es Ietri nach vorn. Er schlägt mit der Stirn auf den Bügel des Vordersitzes, dann schleudert es ihn nach hinten. Ein Peitschenhieb in den Nacken, dem er keine Bedeutung beimisst, weil er erst verstehen will, was passiert ist.
Di Salvo ist mit dem Arsch ins Innere des Jeeps geplumpst und hat einen Schrei ausgestoßen, ein paar Kisten mit Munition sind umgekippt, und überall liegen Patronen herum, einige auch zwischen seinen Beinen. Cederna flucht, dann schlägt er mit der flachen Hand auf das Armaturenbrett und fragt: «Alles in Ordnung?»
Ietri antwortet mit Ja, er tut das automatisch. Auch dieses Mal ist es ihm nicht gelungen, Schweigen zu bewahren.
Zuerst nennen sie es
Graben
, aber es ist in jeder Hinsicht ein Krater, so tief, dass man auf seinem Grund Wasser schimmern sieht. Ein Brunnen mitten in der Wüste, kaum zu glauben. Das Vorderrad des Lince ist hineingeraten, während die anderen drei in der Luft hängen. Wenn Zampieri Gas gibt, drehen sie durch und verspritzen Erdklumpen in alle Richtungen. Das eigentliche Problem ist, dass das Fahrzeug mit dem Chassis auf einem vorspringenden Felssporn aufsitzt. Es abzuschleppen ist gefährlich, weil der Tank beschädigt werden könnte, und zurücklassen kann man es nicht, weil die Vorschriften das verbieten (Gott allein weiß, was
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