Der menschliche Körper
ob er nicht vielleicht voreilig gehandelt hat, als er ihm erlaubte mitzukommen. Aber nun ist nichts mehr zu machen. Der Junge muss die Zähne zusammenbeißen, bis zum Schluss.
Als ob er sich angesprochen fühlte, schaut Torsu zu ihm herüber. Egitto fragt mit nach oben gestrecktem Daumen, ob alles okay ist, und der Soldat nickt. Es gibt kaum Möglichkeiten, sich zu verstecken, also versucht er es erst gar nicht. Andererseits verspürt Egitto nicht das Bedürfnis, den Blick abzuwenden, und er hört auch nicht auf, die Pampe aus der Dose zu kauen, auch dann nicht, als der Soldat sich aufrichtet und abwischt, so gut es geht, und dabei die komplette Armatur sehen lässt. Unter normalen Umständen hätte er anderswohin geschaut oder wenigstens das Essen nicht in den Mund gesteckt. Jetzt nicht. Er schaut zu und kaut. Etwas in ihm hat sich wirklich verändert, seitdem sie aus der Sicherheitszone raus sind, und mehr noch, seitdem die Pioniere den ersten Sprengsatz gefunden haben: Wo er sich jetzt befindet, im Innern des Tals, in dieser Arena, gibt es weder Scham noch Empörung. Viele Merkmale, die den Menschen vom Tier unterscheiden, sind nicht mehr zu erkennen. Von nun an, so überlegt er, existiert er selbst nicht mehr als menschliches Wesen. Er hat sich in etwas Abstraktes verwandelt, ein Agglomerat aus purer Reaktionsbereitschaft und Geduld. Plötzlich ist er damit dem Zustand von Entpersönlichung erstaunlich nahegekommen, den er seit dem Tod seines Vaters mit allen Mitteln anstrebt.
Der Oberleutnant schaut Torsu beim Verrichten seines Geschäfts zu, der Stabsgefreite Camporesi schaut ihm zu, Cederna und die anderen Jungs schauen ihm zu: Alle miteinander weiden sich an dem skatologischen Schauspiel des Kameraden Torsu, ohne irgendetwas zu empfinden.
Egitto kippt die Dose und schluckt den kalten Sugo bis auf den letzten Tropfen, dann legt er sie beiseite. Es stößt ihm sauer vom Magen auf, er unterdrückt den Rülpser.
Cederna steckt die Finger in den Mund, holt einen durchgekauten Kaugummi heraus und wirft ihn auf Torsu. «Immer am Scheißen, du blöder Sarde», ruft er ihm zu, «du bist eine einzige Kackröhre.»
Die Minenräumaktion dauert über zwei Stunden. Als sie weiterfahren, sind die Jungs gelangweilt, benommen und halb betäubt von der mörderischen Hitze. Die Fahrzeuge haben sich in erstickend heiße Käfige verwandelt. Es ist Nachmittag, und von der anfänglichen Begeisterung ist keine Spur mehr übrig. Der Dunst macht die Landschaft fast so diffus wie die Laune der Männer.
Für Ietri laufen die Dinge schlechter als für die anderen, aber mittlerweile hat er sich daran gewöhnt, dass das immer so ist. Es ist erst sein erster Tag unterwegs, und er hält es schon jetzt kaum mehr aus, eingeklemmt auf dem hinteren Sitz, neben sich stehend den Turmschützen Di Salvo, der ihm jedes Mal, wenn er mit dem Maschinengewehr in eine andere Richtung zielt, mit der Stiefelspitze kleine Tritte gegen den Schenkel versetzt. Er tritt immer ihn, nie Pecone, als würde er das mit Absicht machen, Hunderte kleine Tritte immer auf dieselbe Stelle, denn Di Salvo bewegt sich ständig.
Und dann hat er einen besonders guten Blick auf Zampieri und Cederna, die auf den vorderen Plätzen sitzen und neckische Blicke, Lächeln und scherzhafte Bemerkungen austauschen, die sich, so wie er das sieht, allesamt auf Sex beziehen. Gerade so, als wollten sie es in die ganze Welt hinausschreien, dass sie getrieben haben, was sie getrieben haben, trägt Zampieri am Hals einen münzgroßen Knutschfleck zur Schau. Ietri hat sich all diese Stunden hindurch damit gequält, dass er sich Cederna vorstellte, wie er ihren Kopf festhält und an ihrem Hals saugt, ja, er hat sich so sehr in die Phantasie hineingesteigert, dass er Zampieris Blut aus den Blutgefäßen an die Oberfläche austreten und in den Fleck einschießen sah. Ob sie danach wohl eine
vollkommene Beziehung
gehabt hatten? Sicher ja, Cederna war nicht der Typ, der sich zurückzog oder etwas nur halb machte. Aber an dem Punkt macht das auch schon keinen großen Unterschied mehr. Ietri hat beschlossen, dass ihm von nun an kein Mädchen mehr gefällt und dass er keinen besten Freund mehr hat. Das zu denken ist schlimm, er fühlt sich allein, zerrissen und beleidigt.
Di Salvo gibt ihm noch einen Tritt gegen den Schenkel. «Pass doch auf, du Arschloch!», knurrt Ietri.
«Was hast du denn zu meckern dahinten, Jungfräulein?», schaltet Cederna sich ein.
Was Ietri am allermeisten
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