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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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mehr zu finden, er hat den Eindruck, irgendwo zu sein, wo er noch nie zuvor war. Er orientiert sich an dem Licht, das aus einem Zelt dringt. Er geht näher hin, schiebt die Plane beiseite und steckt den Kopf hinein.
    «Ietri, mein Bruder. Komm herein. Komm her.»
    Di Salvo liegt auf bunten Kissen ausgestreckt, ohne Hemd und ohne Schuhe. Die glühenden Stäbe des Heizstrahlers blasen ihm heiße Luft direkt ins Gesicht, es ist dunkelrot, vor allem auf einer Seite. Das Zelt ist von Rauch erfüllt, dichte Schwaden hängen im Raum.
    «Abib, this is Roberto. My friend. My dear friend.»
    Er redet wie einer, der vollkommen zugedröhnt ist. Abib grüßt Ietri andeutungsweise, dann schließt er die Augen wieder. Die anderen Dolmetscher rühren sich nicht einmal.
    Ietri tritt schüchtern näher, wobei er den Gegenständen auf dem Boden ausweicht, und setzt sich neben Di Salvo. Automatisch nimmt er den Joint, den Di Salvo ihm reicht, und führt ihn zum Mund.
    «Ein kräftiger Zug. Bravo. Halt ihn, solang du kannst. Du wirst sehen, wie dich das relaxt. Spürst du es schon? Das ist ein besonderer Stoff.»
    Der Obergefreite zieht noch einmal an dem Joint, und noch einmal. Am Anfang passiert nichts außer einem Hustenanfall. Nicht einmal Drogen können mit einem wie ihm etwas anfangen, mit einem
kleinen Jungen
. Dann überkommt ihn eine bleierne Müdigkeit. Er trotzt ihr. Er will sich die Lungen mit Rauch vollpumpen, bis da kein Platz mehr ist. Er nimmt einen sehr tiefen Zug, mit dem er sich den Rachen verbrennt.
    «Yesss», zischt Di Salvo ganz dicht an seinem Ohr.
    Die Statue, von der er erzählt hat, steht auf einem dreibeinigen Tischchen, inmitten von leeren Zigarettenhülsen, Tabakresten und einem glimmenden Räucherstäbchen, das den Geruch im Raum jedoch nicht verändert. Ietri betrachtet die Statue. Es ist nur ein Stück Holz, grob mit einem Messer geschnitzt, die Haare sind aus Stroh. Er zieht noch einmal am Joint und hält den Rauch in der Lunge, solange es geht. Im Gymnasium machten sie Wettkämpfe, wer ihn am längsten halten kann, sie nannten das den Reigen des Todes. Keiner durfte ausatmen, bevor der Joint nicht wieder bei ihm gelandet war. Manchmal waren sie zu zehnt oder zwölft, und der eine oder andere machte extra langsam, die Gesichter wurden rot, violett, blau. Ietri stößt die Luft aus, hustet. In einer blitzartigen Vision sieht er Cederna, wie er sein Gesicht zwischen Zampieris Beinen vergräbt, sie lässt ihn ran, jault vor Lust. Er zieht noch einmal, hält die Luft an. Da, jetzt kommt’s. Marihuana macht ihm immer eine trockene Kehle, das war schon in der Schule so, es hat einen widerlichen Geschmack. Er trank literweise kalten Tee, um ihn aus dem Mund zu bekommen. Abibs Statue starrt ihn aus gelben Augen an, es ist bloß ein Stück morsches Holz, auf dem Markt in Torremaggiore verkaufen die Marokkaner einen Haufen solchen Krimskrams. Wenn seine Mutter mit ihm auf den Markt ging, ließ sie ihn alles kaufen, was er wollte, ausnahmslos alles, im Tausch gegen ein Lächeln von ihm. Er hatte das verstanden und nützte es aus. Wie bezaubernd er war, mit acht Jahren. Wie bezaubernd!, sagt Cederna, und jetzt will er alles, den ganzen Rest. Scheißverräter. Ietri zeigt Abibs Statue die Zunge, zeigt dem Tod die Zunge. Soll er ihn doch holen, ihm ist alles egal. Di Salvo bricht in keuchendes Gelächter aus, auch er streckt die Zunge heraus.
    «Blllllll … Uuuuuuuh! Bllllllllll …»
    Sie sind zwei Tiere und geben Tierlaute von sich. Sie hänseln den Tod, sie schütten sich aus vor Lachen.
    «Brrrrrrrrrrrr … Uh-uh-uh-uh-uh ……… Uaaaaaaaahhh …»
    Di Salvo hat ihm gesagt, wenn man dieses Zeug raucht, fühlt man die Dinge, alle Dinge. Reiner Quatsch ist das. Ietri spürt nur die Angst, immer deutlicher, immer düsterer. Das Zelt umschließt ihn von allen Seiten, das Gebirge draußen beugt sich auf ihn herab, genauso wie die Nacht, alle miteinander wollen ihn erdrücken wie eine Eidechse. Seine Pupillen wandern nach oben, und sein Kopf versinkt in den bequemen Kissen.
    «Bravo, Junge, bravo. Hast du gesehen? Es ist ein besonderer Stoff.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Zweiter Teil
Das Tal der Rosen
    Langsam schlängelt sich der Konvoi im Morgengrauen dahin, das vordere Ende vom hinteren zwei Kilometer entfernt. Das Einladen auf dem Platz ist schnell vonstattengegangen, trotz einiger Schwierigkeiten in letzter Minute und trotz der geringen Disziplin der afghanischen LKW -Fahrer: Auf einmal widerstrebte es

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