Der Metzger holt den Teufel
unterschiedlichster Frauenbekleidungen, Schuhe,Perücken, Brillen und sonstigen Accessoires. An einer Wand gegenüber ein ausladender Schreibtisch voller Dokumente. Mit Akribie wurde jedes der Opfer ausgewählt, haargenau aufgeschlüsselt, wie sie untereinander bekannt sind und in welcher Beziehung sie jeweils zu Rupert von Leugendorf stehen. Genaue Zeit- und Ablaufpläne ihrer Gewohnheiten wurden erstellt, detailliert wurde festgelegt, wann was zu geschehen hat, sogar der Mord an Eduard Pospischill war von Anfang an geplant. Alles war organisiert, auch der Anruf des Herrn Opold, der zum Fund Käthe Henrikshausens führte, einfach alles. Ein einziges Schauspiel. An einer riesigen Pinnwand über dem Schreibtisch prangt ein Farbausdruck Rupert von Leugendorfs, von einem Messer durchstochen, darunter alle bisherigen Mordopfer. Daneben ein Bild Eugen von Mühlbachs, dann das Bild Sophie Widhalms und eine aufgeschlagene Akte, die sich mit ihren Lebensgewohnheiten befasst.
Keine Fragen sind mehr offen.
Willibald Adrian Metzger sinkt wie ohnmächtig auf den Rollsessel: »Sie ist tot, sie ist längst tot!«
Schrill hört sich die Kennmelodie des Privathandys der zukünftigen Hauptkommissarin an. Angespannt starrt sie beim Fenster hinaus: »Wie bitte? Seid ihr wenigstens schon unterwegs? Verdammt, ich bin sozusagen allein, beeilt euch!«
Dann legt sie auf.
»Weg hier, schleunigst! Domitkal, Sie kümmern sich um den Herrn Metzger und bringen ihn nach Hause, umgehend, hier könnte es gleich ungemütlich werden!«
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N ACH SEINER BITTEREN E RKENNTNIS hätte der kraftlose und von einer schier endlosen Traurigkeit erfüllte Willibald kein Problem damit, sich tatsächlich, wie ihm aufgetragen wurde, von den Herren der Spurensicherung heimtransportieren zu lassen. Aus dem wird nichts. Kaum hat er nämlich, fürsorglich gestützt von Bernd Domitkal, gerade einmal einen Fuß auf die Straße gesetzt, folgt der Angriff.
Geradlinig stürzt er aus dem dunklen Spalt zweier geparkter Autos hervor und greift energisch nach der Hand des Restaurators: Oskar.
»Was, was?«, ist die einhellig gestellte Frage.
Dass der Metzger nun völlig verblüfft stehen bleibt, ist in seiner Verfassung verständlich; was allerdings die Versteinerung des Herrn Domitkal angeht, kann man Irene Moritz nur gratulieren zu ihrer selbst verursachten Einsamkeit. Dieser Beamte wäre ihr wahrlich keine Hilfe.
»Du musst jetzt endlich mitkommen. Bitte!«, brüllt Oskar mit sich überschlagender Stimme dem Metzger ins Gesicht. Tränen stehen in seinen Augen.
»Woher hast du diese Adresse?«
»Komm!«
Wie ferngesteuert macht der Knabe auf der Ferse kehrt und marschiert los. Wobei es eher einem Laufschritt gleichkommt, völlig ungeachtet der Tatsache, dass der Restaurator momentan ernsthafte Schwierigkeiten hat, sich auf den Beinen zu halten. »Alles in Ordnung, fahren Sie nur!«, bringt er in Gegenwart des verdutzt dreinschauendenBernd Domitkal noch heraus, dann nimmt Willibald Adrian Metzger die Verfolgung auf. Mit Müh und Not hält er mit dem Jungen Schritt. Trotz der keuchend hinterhergerufenen Frage: »Langsamer, verflixt noch mal, und wo gehen wir überhaupt hin?« wird es ein langer, schweigsamer, nur vom Mitternachtsschlag einer Kirchenglocke untermalter Ausflug. Vor einem modernen Wohnblock endet der Fußmarsch.
Oskar öffnet das gläserne Tor, läuft die Stiegen hinauf in den vierten Stock und bleibt vor einer Wohnungstür stehen. Es dauert entsprechend, bis der Metzger dasselbe Ziel erreicht. Für die notwendige Verschnaufpause bleibt ihm allerdings keine Zeit, denn abermals bleibt ihm die Luft weg.
Am Messingschild steht: Konrad.
»Um Gottes willen, Oskar, ich bin kein Polizist, ich darf das nicht.«
»Aber ich!«
»Weißt du was: Im Grunde ist mir das momentan alles ziemlich egal, und gerade du müsstest das wissen. Ich habe andere Sorgen, wahrscheinlich ist nun auch Sophie …« Der Metzger muss aus emotionalen Gründen abbrechen.
Doch Oskar scheint das in keiner Weise zu berühren, erneut zückt er den Schlüssel. Dann betritt er das Vorzimmer: »Du musst jetzt mitkommen.«
»Die ganze Zeit dieses Muss. Ich muss gar nichts, und keinesfalls betrete ich jetzt die Wohnung eines mir wildfremden und dann noch vermissten Kindes. Und eines könnt ich wetten: Du darfst das auch nicht!«
»Ist nicht gut, wetten. Du musst jetzt mitkommen.«
Den kennt er schon, der Willibald, den anschwellenden Rotton im Gesicht seines Gegenübers. Bevor er
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