Der Metzger holt den Teufel
ehrlich durchgehen lassen können, diese offenherzige Freundlichkeit, wäre da nicht die Irritation in der Hand der Frau hinterm Steuer gewesen. Das passt nämlich ganz und gar nicht zusammen: Liebenswürdigkeit und der Einsatz einer Schusswaffe.
Dann blieb der Wagen stehen, der Junge deutete auf einen Baum und begann erneut zu sprechen: »Buche: 22. Dezember. Festes Holz, Symbol der längsten Nacht, Winterbeginn. Kämpft sich durch Schatten, zielorientiert. Ist geduldig, zwingt kein Glück. Mutter des Waldes. Schön!«
Paradox kam es ihr vor.
»Bitte steigen Sie ein!« Nun sprach auch die Frau. Durchaus höf lich wurde Sophie im Inneren des Wagens gebeten, ihr Mobiltelefon abzugeben und beide Arme hinter dem Rücken zusammenzuführen. Wie erst kürzlichin den Mühlbach’schen Jagdgründen, nur um einiges behutsamer, wurden ihr in weiterer Folge der Mund und die Hände mit Klebebändern umwickelt. Dann befahl ihr die Frau in ruhigem Tonfall, sie möge sich doch bitte seitlich auf die Rückbank legen, reichte dem Jungen die Pistole und wendete den Wagen. Und genau diese Ruhe, diese Höf lichkeit machten ihr Angst, unsagbare Angst.
Sophie Widhalm begann zu weinen.
»Keine Sorge, bald ist es vorbei!«
Irene Moritz hat trotz der heftigen Auf lehnung Oskars darauf bestanden, mit Willibald Adrian Metzger und Gerhard Kogler allein in der Werkstatt bleiben zu können. Die Einbindung zu vieler Privatpersonen in das nun Folgende müsse sie aus Sicherheitsgründen unterbinden. Nur dank des Zuspruchs von Danjela Djurkovic und Petar Wollnar konnte Oskar vor die Tür gebracht werden.
Kurze Zeit später sind Gerhard Kogler und Irene Moritz mit den notwendigen Vorbereitungsarbeiten fertig, Josef Krainer mit drei weiteren Beamten eingetroffen und alle um den Werkstatttisch versammelt, auf dessen Mitte Gerhard Koglers Computer steht.
Irene Moritz beginnt zu sprechen: »Was wir hier sehen, entspricht in etwa unserem Phantombild: eine dunkelhaarige Frau, zweiunddreißig Jahre alt, mit Bubikopf, zartem, üppig geschminktem Gesicht, prall wirkenden Lippen, auffälligem Muttermal auf der rechten Wange, schmaler Nase, extravaganter Brille und braunen Augen. Bitte das nächste Bild. Hier sehen wir das Philipp Konrads Film entnommene Standbild: eine nicht ganz so dunkelhaarige Frau, zweiunddreißig Jahre alt, mit biederer, ins zarte Gesicht fallender Frisur, anders, aber doch auch starkaufgetragener Schminke, Perlenohrringen und Hornbrille …«
Josef Krainer unterbricht: »Aber da fehlen das Muttermal unter dem rechten Auge und die Hasenscharte.«
Ohne darauf zu reagieren, setzt Irene Moritz nüchtern fort: »Wenn man genau hinsieht«, Gerhard Kogler blendet nun beide Bilder nebeneinander ein, »besteht der begründete Verdacht: Es handelt sich hier um ein und dieselbe Person, bis zum vierzehnten Lebensjahr wohnhaft Am Mühlengrund 1, dort gemeinsam mit der bereits verstorbenen Zwillingsschwester Spielgefährte von Rupert von Leugendorf und Eugen von Mühlbach. Zumindest eines der beiden Geschwister wurde dabei mit ziemlicher Sicherh…«
»Spielgefährtin, es muss wohl Spielgefährtin heißen, Kollegin Moritz!«, unterbricht sie abermals Josef Krainer und erfährt nun, wie es für ihn trotz seines deutlich höheren Dienstalters in Zukunft hier aussehen wird mit der Hierarchie.
»Unterbrechen Sie mich nie wieder, Krainer, nie wieder!«
Drückend ist die Stimmung.
Irene Moritz kann die Pause gar nicht zu lang sein, in der dieser machoide Schwachkopf Krainer die Schmach der öffentlichen Bloßstellung zu erdulden hat. Dann setzt sie fort: »Eines der beiden Geschwister, wahrscheinlich die Schwester, wurde dabei mit ziemlicher Sicherheit auch Opfer von Rupert von Leugendorf und Eugen von Mühlbach. Ein diesbezüglicher Zusammenhang mit ihrem Selbstmord ist nicht auszuschließen! Dieser Selbstmord liegt mehr als zwanzig Jahre zurück. Mittlerweile ist er ein erwachsener Mann. Gerhard, wenn ich dich bitten darf!«
In der Werkstatt wird es mucksmäuschenstill, während Gerhard Kogler nun vor aller Augen die entsprechenden Veränderungen vornimmt. Schweigend betrachten alle mit entsetzten Gesichtern das sich abzeichnende Foto.
Irene Moritz hebt ihre Stimme und trägt das blanke Grauen mit erschreckender Nüchternheit vor, eiskalt ist ihr Tonfall: »Wir suchen einen Mann, zweiunddreißig Jahre alt, groß, schlaksig, zart in seinem Erscheinungsbild, feminine Gesichtszüge, lockiges kurzes dunkles Haar, schmale Nase, schmale Lippen,
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