Der mieseste aller Krieger - Roman
Straßenfests zu Ehren des Nationalfeiertags habe den Schuss und den Schrei der Inglesa vor ihrem Tod ganz offenbar übertönt.
Während der Sohn des Satans auf die Ergebnisse der Autopsie wartete, die damals noch in der Hauptstadt vorgenommen wurde, kam er zu mir, um mich mit dem Fingerabdruck auf der Vase verrückt zu machen. Nach demBesuch der Lorenzona bei Pater Alzamora allerdings sah López-Cuervo II sich genötigt, mich aus Mangel an Beweisen laufenzulassen. Aus Mangel an Beweisen! Selbstverständlich hätte ich meinem Freund niemals eine Kugel in die Stirn gejagt. Ich gebe zu, dass ich die Inglesa mit ihren Schlangenaugen liebend gerne erwürgt hätte, aber bei all den Gaunern, die sich auf dem Straßenfest tummelten, hätte jeder der Mörder gewesen sein können.
Jetzt biege ich gen Osten ab, schlendere unsicher die Calle Serrano entlang, um zu sehen, wie sich der Markt verändert hat. Das einstige Dach aus Binsengeflecht ist verschwunden, und viele Häuser liegen nach den zahlreichen Erdbeben in Trümmern. Prominente aus Paitanás wie der Gewerkschaftler Pedro Pablo Seura, glänzen jetzt durch Abwesenheit. Wer erinnert sich noch an die Furcht, die die Lorenzona hoch zu Ross verbreitete? Es gefällt mir, dass du all diese tragikomischen Geschichten recherchierst, Benito, und damit eines ganz klar ist: Sofanor war kein Mörder, wie der Atacameño in seinem Lokalteil berichtet. Mörder sterben hochbetagt und fast immer in ihrem Bett, innig umsorgt von den Gebeten der Familie und korrupten Pfaffen wie Alzamora, die bestens darin geübt sind, ihren Nutzen schon von weitem zu riechen.
Das Städtchen Paitanás hat sich zweifellos verändert. Die alten Pfefferbäume sind gewachsen, und der Platz mit der Palme in der Mitte und dem blauen Brunnenbecken ist hübscher geworden. Die Menschen aber wirken genauso resigniert wie damals. Inzwischen haben sie dieTrommeln und Trompeten vergessen und tanzen jetzt Technocumbia. Die Backsteinmauern der Kirche stehen noch, nur die Kuppel hat man mit einer Eisenkonstruktion versehen. Ich gehe weiter bis zu der Stelle, wo das Arche Noah stand, und komme auf dem Weg dorthin am Gesellschaftsklub vorbei, ein Haus im Kolonialstil mit großzügiger Terrasse, das sich einen Hauch von Herrschaftlichkeit bewahrt hat.
Als die Ojerosa damals das Zimmer von Sofanor und der Inglesa betrat, um nachzusehen, was los war, schien es ihr, als habe die Engländerin, diese teuflische Strippenzieherin, mit ihrem Mörder gerungen: ihr Haar war zerwühlt, die frischen Rosen lagen über das Bett verstreut und am Boden die Scherben der zerbrochenen Vase. Niemand vermochte zu sagen, wie viele Steine, Juwelen und Pfund die beiden Ledertaschen der Toten enthalten hatten. Das war das Erstaunlichste an der ganzen Sache, Benito, dieses Detail musst du unbedingt in deinem Heft erwähnen. Die Beute wurde nie mehr erwähnt.
Heute werden an der Stelle, wo das Arche Noah sich einst in ein Häuflein Asche verwandelte, Autos gewaschen. Ich schreite seine alten verfallenen Mauern entlang, vorbei an der unsichtbaren Bar, wo ich die Machete versteckt hatte, vorbei an der Stelle, wohin sich die Strolche mit den Mädchen zurückzogen. Zwei Straßen weiter, oberhalb der Calle Maule, befand sich das Chanchoquín .
Jedes Mal, wenn López-Cuervo II den Ablauf des Verbrechens rekonstruierte, entdeckte er eine neue Spur. Zuerstsuchte er nach einem Mörder, doch als er niemanden überführen konnte, kam er zu dem Schluss, Sofanor und die Inglesa hätten in gegenseitigem Einvernehmen Selbstmord begangen. Seltsam erschien nur, dass der Webley Mark VI an Sofanors Zeigefinger hing, als habe ihn jemand dort hingehängt wie an einen Haken. Die Inglesa, so wie sie gefunden wurde, mit der ungeheuren Blässe ihrer Haut, den Augen, die ins Grauen starrten, und den von den Stacheln blutigen Handflächen, schien die These vom Doppelselbstmord zu bestätigen. Der Sohn des Satans fühlte sich jedenfalls veranlasst, rasch nach dem für eine eventuelle Vergiftung verantwortlichen Getränk zu suchen. Sein Augenmerk galt vor allem der halbvollen Bierflasche und dem halbleeren Glas auf dem Nachttisch neben der Inglesa. Und all das geschah viele Jahre, bevor die Deutschen das synthetische Nitrat erfanden, viele Jahre, bevor die Klipper aufhörten, ihre Laderäume zu füllen und das Leben der Dörfer zum Teufel ging. Oder vielleicht war es auch anders, aber so habe ich es in Erinnerung, Benito. Das Geschäft der Frauen, egal ob hübsch oder
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