Der mieseste aller Krieger - Roman
es mir von ihm holen. Und dann gehört es mir.«
»Willst du etwa diesen Nichtsnutz aus Paitanás, den Vater des Kindes, darum bitten?«, wagte Ronal zu fragen.
Die Inglesa schwieg. Ein Schweigen, das als Bestätigung zu verstehen war.
»Hat dieser Taugenichts überhaupt Geld?«
Die Inglesa wechselte ungeduldig das Thema.
»Ich bitte dich nur, dich um die Amme zu kümmern, solange ich nicht da bin.«
»Ich? Was verstehe ich schon davon?«
»Ich weiß, dass du das gut machen wirst, alle glauben, dass du für sie sorgen kannst. Du weißt doch, das sind zu viele Kilometer für einen zwei Monate alten Säugling.«
Ronal fühlte sich geschmeichelt, und er wusste, dass nichts diese Frau von ihren Absichten abbringen würde. Seufzend gab er sich geschlagen.
»Versprich mir, dass du auf dich aufpasst.«
»Das brauche ich nicht zu versprechen. Ich habe immer auf mich aufgepasst.«
Ronal wollte etwas entgegnen, doch die Entschlossenheit der Inglesa ließ ihn verstummen. Mit grimmiger Miene zog sie den Reißverschluss ihrer beiden Ledertaschen zu und trat an das Körbchen, um ihrem Töchterchen einen Abschiedskuss auf die Stirn zu drücken.
»Keine Sorge, dein verflixter Vater wird uns das Geld schon geben, damit wir heimkehren können. Das verspreche ich dir, und wenn ich ihn töten muss.«
Paitanás, Mai 1976
Was Doña Ojerosa betraf, so übte sie sich weiter vergeblich in der Schminkkunst und verbrachte unzählige Stunden vor dem Spiegel, um sich die Wimpern zu formen, doch ihr Vogelgesicht vermochte sie nicht zu kaschieren. Allerdings begann sie mit der Zeit, sich Sorgen zu machen, wenn sie deine Großmutter an ihrem Fenster vorbeikommen sah. Die Flor hat es bereits ereilt, dachte die Wirtin des Chanchoquín , wie ein Erdbeben, ihren Körper und ihren Geist. Flor bewegte sich, als gehörte ihr Körper nicht mehr zu ihr, als drohte er jeden Augenblick unter ihr nachzugeben. Sie hielt sich an jedem Fenstergitter fest, das sie greifen konnte, und atmete tief durch. Die Nachricht von unserem Tod hatte sie um den Verstand gebracht. Sie konnte nicht glauben, dass sie dich nie kennenlernen sollte, Benito. Die Babykleidung, die sie für dich zusammengetragen hatte, Wollsachen für den Winter … All das ging zum Teufel.
Ich sah sie auf dem Sofa sitzen, den Blick starr auf die Straße gerichtet, die in die Wüste führte. Ich machte ihr Zeichen, doch sie schwieg. Sie schaute mich an, schaute mir direkt in die Augen, wenigstens bildete ich mir das ein, doch sie sagte nichts. Inzwischen denke ich, es warganz logisch, dass sie mich nicht erkannte, denn ich hatte mir einen Piratenbart stehenlassen, um nicht mit den glattrasierten Dreckskerlen wie Gott Alzamora verwechselt zu werden. Ich setzte mich neben sie, bot ihr zum Trost meine Schulter, aber sie schien nicht zu begreifen, dass ich da war. Trotz allem lächelte sie.
Als sie wieder die provisorische Festung aufsuchte, wo die Tita niedergekommen war, und die Information durchsickerte, dass man ihre Tochter auf das Handelsschiff Maipú mit unbekanntem Ziel verfrachtet habe, wurde ihr erklärt, sie habe dort nichts mehr zu suchen. Flor erkundigte sich nach López-Cuervo II, doch es hieß, man kenne niemanden dieses Namens. Es gibt nichts Schlimmeres als einen Sehenden, der sich blind stellt, Benito, und deine Großmutter wollte diese wenigen Worte einfach nicht verstehen. Sie fragte in vielen Gefängnissen nach, ob man die Tita dort festhalte oder festgehalten habe oder ob man wisse, was mit den jungen Leuten geschehen sei – ich sage absichtlich »junge Leute«, denn das waren sie. Doch keiner gab ihr Auskunft, was mit ihrem Mädchen geschehen war, ob sie tot war, wo sie begraben sein könnte. Deshalb kehrte meine Flor stets an denselben Ort zurück. Auf ihr beharrliches Nachfragen, ihr Bitten und Betteln und ihr ständiges Erscheinen hin, ließ sich ein Militär schließlich zu der Aussage hinreißen, dass sie nicht weiter nach ihrer Tochter zu suchen brauche, denn die würde sie nicht finden, nirgendwo, und wenn sie sich noch einmal blicken lasse, würde man sie ebenfalls einsperren.Im Laufe eines Lebens vermischen sich die Ereignisse wie in einem Wirbelwind, der einem die Sicht raubt und keine Wahl lässt, so dass auf einen glücklichen Augenblick unvermittelt ein blutiger folgt, einfach so.
Die Ojerosa beobachtete ihre Freundin von einst, wie sie die Straße entlanghetzte, um den üblichen Termin nicht zu verpassen. Sie sah Flor ungern in der immergleichen
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